Cora - MyLady 334 - Clay, Merilyn - Miss Tessa aus Amerika
einem Tischnachbarn so ausschließlich den Vorzug zu geben. Das musste sie sich unbedingt einprägen.
Während des restlichen Mahls beobachtete Penwyck Miss Darby wie ein Luchs. Er verlor sie aus den Augen, als die Damen sich in den Salon zurückzogen, um dort den Kaffee einzunehmen und die Herren ihrem Brandy und ihren Zigarren überließen. Doch da seine Mutter sie ja begleitete, hegte er keine Befürchtungen. Es beunruhigte ihn auch nicht, als Lord Dickerson vor den anderen Gentlemen die Tafel verließ und im Korridor verschwand. Als er später im Salon jedoch weder Miss Darby noch Lord Dickerson vorfand, schrillten sämtliche Alarmglocken.
Das Haus der Chalmers unterschied sich vom Grundriss her nicht wesentlich von anderen Stadthäusern in London, und auch hier gab es einen kleinen Garten.
Penwyck begann seine Suche nach der fehlgeleiteten Miss Darby und ihrem raffinierten Verführer – in diesem Licht sah er den erfahrenen älteren Mann, der inzwischen gewiss festgestellt hatte, dass die junge Dame, die er von den anderen weggelockt hatte, so unschuldig wie ein Schulmädchen war – in dem kleinen Garten hinter dem Haus.
Ein paar Gäste ergingen sich dort an der frischen Luft, nicht aber Miss Darby und der verwegene alte Lord Dickerson, und so machte er sich daran, ein Zimmer nach dem anderen zu durchsuchen. Ein kleiner Salon sowie das Musikzimmer daneben lagen verlassen da, doch als er die Tür gegenüber aufstieß, die in einen schummrig erleuchteten Raum voller Bücher führte, hörte er Stimmen. Penwyck stürmte hinein.
»Ähem!« räusperte er sich laut, um seine Ankunft darzutun. Zwei Köpfe – einer rotbraun gelockt, der andere mit schütterem weißem Haar – fuhren herum. »Miss Darby!« Lord Penwycks Augen wurden schmal, als er hastig auf das Paar zuging. »Und Lord Dickerson!« Sein Ton war entschieden anklagend, und seine zornige Miene richtete sich eindeutig gegen den älteren Mann.
»Guten Abend, Penwyck«, sagte der ältere Herr. »Miss Darby und ich haben nur…«
Penwycks Augen loderten zornig auf. »Ich werde Sie morgen bei mir empfangen, Dickerson. Wenn Sie sich jetzt freundlicherweise entfernen möchten.«
Der alte Gentleman nickte höflich. »Nun gut, Penwyck.«
Er warf Tessa einen bedauernden Blick zu. »Guten Abend, meine Liebe.«
Mit diesen Worten verließ Lord Dickerson den Raum und schloss behutsam die Tür hinter sich.
Mit offenem Mund starrte Tessa zu Lord Penwyck auf.
»Was fällt Ihnen ein, hier einfach so hereinzuplatzen und diesen netten alten Herrn zu beleidigen?«
Penwyck rang nach Atem. »Wir gehen jetzt, Miss Darby.«
Er schickte sich an, ihren Arm zu ergreifen und sie hinauszugeleiten, doch Tessa zuckte zornig zurück.
»Sie sind nicht mein Vormund! Lord Dickerson und ich sprachen lediglich über…«
»Es ist vollkommen gleichgültig, worüber Sie beide sprachen, Miss Darby. Was zählt, ist, dass Lord Dickerson wissentlich Ihre Tugend kompromittierte.«
Tessa starrte den törichten Earl ungläubig an. »Das ist unsinnig, und Sie wissen es ganz genau. Meine Tugend war in vollkommen sicheren Händen. Also… dieser arme alte Mann ist doch gar nicht fähig…«
»Dazu ist kein Mann unfähig, Miss Darby.«
Tessa errötete. »Nun ja, jedenfalls… also, Tatsache ist doch, dass wir uns nur unterhalten haben über…« Sie hielt inne, da ihr plötzlich wieder ihr Versprechen einfiel, von jedweden politischen Aktivitäten abzusehen, solange sie bei Lord Penwyck zu Gast war. Sie presste die Lippen zusammen und hob energisch das Kinn. »Nun, worüber wir sprachen, ist ja wohl nicht wichtig, nehme ich an.«
»Danach bleibt Ihnen noch genug Zeit für Unterhaltungen, Miss Darby.«
Tessa sah den Earl fragend an.
»Sie hätten es schlechter treffen können«, fügte er in resigniertem Ton hinzu.
»Wie bitte?« murmelte Tessa.
»Dickerson ist augenblicklich unverheiratet«, sagte Penwyck sachlich. »Und er hat keinen Erben, zumindest keinen legitimen. Vermutlich erwartet man von Ihnen, einen hervorzubringen. Danach können sie vermutlich frei entscheiden…«
»Ich kann jetzt schon frei entscheiden!« rief Tessa aus, die allmählich begriff, worauf er hinauswollte, es jedoch nicht ganz glauben mochte. »Ich habe nicht die geringste Absicht, Lord Dickerson zu heirate…«
»Sie haben keine andere Wahl, Miss Darby«, behauptete Penwyck, »ebenso wie ich keine andere Wahl habe, als seinen Antrag in Ihrem Namen anzunehmen, wenn er morgen kommt.«
Tessa hielt
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