Cora - MyLady 334 - Clay, Merilyn - Miss Tessa aus Amerika
Lappen, als er sie interessiert betrachtete. Schließlich sagte er: »Whig, Reformflügel. Ich mag ein alter Mann sein, aber mir ist doch klar, dass die althergebrachten Traditionen für England nicht mehr denselben Nutzen haben wie früher.«
Seine Aufmerksamkeit wurde einen Augenblick von einem Diener abgelenkt, der ihnen Hummer, Krabben und Spargel vorlegte, doch sobald ihre Teller gefüllt waren, wandte er sich wieder an Tessa.
»Sagen Sie, Miss Darby, interessieren sich in Amerika alle jungen Damen für die Politik?«
Tessa schenkte dem ältlichen Gentleman ein freundliches Lächeln. »Mein Stiefvater ist Senator. Von Kindesbeinen an habe ich politische Debatten zu hören bekommen. Sie erinnern mich an einen guten Freund meines Stiefvaters, an Mr. Thomas Jefferson.«
»Ah.« An Lord Dickersons Ton erkannte Tessa, dass ihn der Vergleich freute. »Mr. Jefferson schrieb meines Wissens mit an der amerikanischen Verfassung.« Er grinste. »Das war natürlich lange vor Ihrer Geburt. Hat Ihr Stiefvater an den Kontinental-Kongressen teilgenommen?«
»Ja.« Tessa nickte. »Sowohl er als auch sein Vater.« Sie aß einen Bissen Hummer und wandte sich dann wieder an Lord Dickerson. »Kennen Sie zufällig Thomas Paines Schriften?«
Lord Dickerson hob erstaunt den Kopf. »In der Tat.
Brillanter junger Mann, auch wenn er nur ein Bürgerlicher war.« Er senkte die Stimme. »Aber verstehen Sie mich richtig, die radikalen Ansichten des jungen Mannes waren in England damals nicht sonderlich populär. In Amerika hat er sich ja dann einen ziemlichen Namen gemacht«
Tessa bekam vor Aufregung kaum noch Luft. Was für ein Glück, dass sie neben einem Mann saß, dessen Ansichten den ihren so ähnlich waren. »Ich habe alles gelesen, was Mr. Paine geschrieben hat«, erklärte sie begeistert. »Seine Schriften sind in Amerika sehr populär.« Sie sehnte sich danach, das Thema anzuschneiden, das ihr so sehr am Herzen lag, aber nicht hier. Vielleicht konnten sie und Lord Dickerson ihre Unterhaltung später an irgendeinem abgeschiedenen Ort ungestört fortfuhren.
Mit weit aufgerissenen Augen neigte Tessa sich zu dem alten Herrn und flüsterte atemlos: »Ich hätte ein Anliegen, das ich sehr gern mit Ihnen besprechen möchte, Sir, aber ich befürchte, dass es hier nicht möglich ist.«
Er nickte Tessa wissend zu. Sie entschied, dass der viel sagende Blick bedeutete, dass er sie voll und ganz verstand.
»Dürfte ich nach dem Essen einen Spaziergang im Garten vorschlagen, Miss Darby? Oder vielleicht ein Plauderstündchen in der Bibliothek, falls Sie das vorziehen.«
»Die Bibliothek wäre wunderbar«, murmelte Tessa. Ihre Wangen liefen dunkelrot an. Wie sehr sie sich doch freute, zu der Abendgesellschaft gekommen zu sein!
Obwohl Lord Penwyck verschiedene Unterhaltungen auf einmal verfolgte, war er sich des Schützlings seiner Mutter schräg gegenüber wohl bewusst. Nachdem sie beschlossen hatten, die Abendeinladung anzunehmen, hatte er erwogen, sie beiseite zu nehmen und sich zu erkundigen, ob sie irgendeine Frage habe, das richtige Benehmen betreffend.
Doch schließlich hatte er es verworfen: Miss Darbys Eifer, es ihm recht zu machen und tanzen zu lernen, dazu das tadellose Betragen, das sie ihm und Ash gegenüber an den Tag legte, hatte ihn dazu gebracht, sein ursprüngliches Urteil über sie zu revidieren.
Miss Darby war eine durchaus wohlerzogene junge Dame. Anscheinend hatte sie der tägliche Kontakt zu anderen jungen Damen, zu seiner Mutter und deren Freunden eine Menge gelehrt. Trotz ihres leichten amerikanischen Akzents, der, wie Penwyck einräumte, kaum wahrnehmbar war, sobald man sich einmal daran gewöhnt hatte, und den man vielleicht sogar reizend finden könnte, hatte sie ohne weiteres den Beifall der hochmütigen Gräfin Lieven und Fürstin Esterhazys gewonnen, deren Wissen, was alle Fragen der Etikette betraf, wahrhaft umfassend war. Penwyck hatte beobachtet, wie Miss Darby sich mit den beiden Patronessen von Almack’s und anderen einflussreichen Damen unterhielt.
Es war das erste Mal, dass er sie in Gesellschaft beobachten konnte, und er war mit ihrer Haltung durchaus zufrieden.
Nur eine kleine Sache war ihm beim Dinner aufgefallen, wegen der er ihr einen Hinweis geben musste. Während des Essens hatte sie Mr. Templeton vollkommen ignoriert und dafür den alten Lord Dickerson ganz in Beschlag belegt.
Der alte Herr mochte die Aufmerksamkeiten der hübschen Miss Darby genießen, aber es gehörte sich nicht,
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