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Coraline

Coraline

Titel: Coraline Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neil Gaiman
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ausgiebig und spazierte davon. Dann blieb er stehen, drehte sich um und sagte: »An deiner Stelle würde ich ins Haus gehen. Sieh zu, dass du noch etwas Schlaf kriegst. Du hast einen langen Tag vor dir.«
    Und dann war der Kater weg. Aber seine Abschiedsworte waren ein Argument und Coraline erkannte, dass er recht hatte. Sie schlich sich wieder in das stille Haus, an der geschlossenen Schlafzimmertür vorbei, hinter der ihre anderen Eltern...was taten? Schlafen? Warten? Und dann ging ihr auf, dass sie das Zimmer leer vorfinden würde, wenn sie die Tür aufmachte. Oder genauer: Das Zimmer war leer und es würde haargenau so lange leer bleiben, bis sie die Tür aufmachte.
    Das machte es irgendwie leichter. Coraline ging in die grün-pinkfarbene Parodie ihres eigenen Zimmers. Sie machte die Tür zu und schleifte die Spielzeugkiste davor – die würde zwar niemanden am Hereinkommen hindern, aber sie hoffte, dass der Lärm sie wecken würde, wenn jemand versuchen sollte, die Kiste wegzuschieben.
    Die meisten Spielsachen in der Spielzeugkiste schliefen noch. Sie regten sich und brummelten etwas, als sie die Kiste verrückte, schliefen dann aber wieder ein. Coraline sah unter dem Bett nach. Sie hielt nach Ratten Ausschau, aber es war nichts da.
    Sie zog den Morgenmantel und die Pantoffeln aus, stieg ins Bett und schlief so schnell ein, dass ihr kaum genug Zeit blieb, um darüber nachzudenken, was der Kater damit gemeint hatte, als er von Herausfordern sprach.

6 .
    C oraline wurde von der Morgensonne wach, die ihr voll ins Gesicht schien.
    Im ersten Augenblick war sie völlig desorientiert. Sie wusste nicht, wo sie war, und war sich nicht mal so ganz sicher, wer sie war. Es ist erstaunlich, wie viel von dem, was wir sind, von den Betten abhängt, in denen wir morgens aufwachen, und es ist erstaunlich, wie zerbrechlich das sein kann.
    Manchmal vergaß Coraline, wer sie war, wenn sie ins Träumen geriet und sich vorstellte, dass sie die Arktis erforschte oder den Regenwald am Amazonas oder das dunkelste Afrika, und erst wenn ihr jemand auf die Schulter tippte oder sie ansprach, kehrte sie mit einem Ruck aus einer Entfernung von Millionen von Meilen zurück. Dann musste sie sich im Bruchteil einer Sekunde daran erinnern, wer sie war, wie sie hieß und dass sie überhaupt da war.
    Jetzt schien ihr die Sonne ins Gesicht und sie war Coraline Jones. Ja. Und aus dem Grün und Pink in dem Zimmer, in dem sie sich befand, und dem Rascheln eines großen, bunt bemalten Papierschmetterlings, der oben an der Decke herumflatterte, konnte sie sich erschließen, wo sie aufgewacht war.
    Sie stieg aus dem Bett und rang sich dazu durch, dass sie tagsüber nicht in Schlafanzug, Morgenmantel und Pantoffeln herumlaufen konnte, selbst wenn das hieß, dass sie die Sachen der anderen Coraline tragen musste. (Gab es eine andere Coraline? Ihr wurde klar, dass es keine andere gab. Nur sie.) Im Schrank war aber keine normale Kleidung. Es waren eher Sachen zum Verkleiden oder (wie sie fand) die Art von Kleidung, die sie liebend gern zu Hause in ihrem eigenen Schrank gehabt hätte: ein zerlumptes Hexenkostüm; ein Vogelscheuchenkostüm mit vielen Flicken; ein Zukunftskostüm mit kleinen Digital-Lämpchen, die glitzerten und blinkten; und ein gewagtes Abendkleid, das über und über mit Federn und kleinen Spiegelchen bedeckt war.
    Schließlich entdeckte sie in einer Schublade eine schwarze Jeans, die aussah, als bestünde der Stoff aus samtiger Nacht, und dazu einen grauen Pullover in der Farbe von dickem Qualm, mit kleinen, nur ganz leicht angedeuteten, aber hell funkelnden Sternen im Gewebe.
    Sie zog die Jeans und den Pullover an. Dann schlüpfte sie in ein Paar leuchtend orangefarbene Stiefel, die sie unten im Schrank gefunden hatte.
    Aus der Tasche ihres Morgenmantels holte sie ihren letzten Apfel und aus derselben Tasche fischte sie auch den Stein mit dem Loch in der Mitte.
    Sie steckte den Stein in die Jeanstasche und es war, als würde sie etwas klarer im Kopf. Als hätte sich ein Nebel um sie gelichtet.
    Sie ging in die Küche, die jedoch verlassen dalag.
    Dennoch war sie überzeugt davon, dass jemand in der Wohnung war. Sie ging den Flur entlang, bis sie zum Arbeitszimmer ihres Vaters kam, und entdeckte, dass es belegt war.
    »Wo ist die andere Mutter?«, fragte sie ihren anderen Vater.
    Er saß im Arbeitszimmer an einem Schreibtisch, der genauso aussah wie der Schreibtisch ihres Vaters, aber er tat nichts, las noch nicht mal in Gartenkatalogen,

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