Corbins 02 - Wer ein Laecheln des Gluecks einfaengt...
Tag auf
sie wartete.
Aber ihre müden Augen weiteten sich
erschrocken. »Du liebe Güte«, hauchte sie entsetzt. »Ich habe Hershel ganz
vergessen!«
Das Kaninchen. Keith lachte. »Er hat
ganz bestimmt Hunger.«
Missis Thompkins brachte prompt eine
Schale mit Salatblättern herbei. »Sorgen Sie nur dafür, daß das Tier aus meinem
Gemüsegarten bleibt«, warnte sie gutmütig.
»Heute abend können wir ihn in der
Scheune unterbringen«, meinte Keith. »Morgen baue ich ihm einen Stall.«
Fancy lächelte erleichtert, und
Keith war gerührt. Anscheinend liebte sie das ungehorsame Kaninchen doch.
»Danke«, sagte sie froh.
Fancys Zimmer war sehr geräumig. Als sie
das Fenster öffnete, drang das süße Aroma von Apfelblüten herein, und das leise
Rauschen des Columbia River wirkte sich sehr beruhigend auf ihre Nerven aus.
Dankbar zog sie das sternenbesetzte
Kleid aus und schlüpfte in das lange Flanellnachthemd, das auf dem Bett lag. Es
war schlicht, aber hübsch, mit einem Spitzenbesatz an Ärmeln und
Halsausschnitt und gestickten Tauben auf dem Oberteil. Fancy nahm sich vor,
Missis Thompkins am nächsten Tag dafür zu danken.
Barfuß trat Fancy ans Fenster, löste
die Klammern aus ihrem Haar und ließ es lang auf ihren Rücken fallen. Dann
leerte sie ihre Reisetasche aus und überlegte, wie dringend sie nun ein neues
Kleid brauchte. Außer ihrem Kostüm, das sie zu den Auftritten trug, besaß sie
nur einen streng geschnittenen Rock aus Leinen und einen anderen aus grobem
grauem Wollstoff.
Sie biß sich auf die Lippen, als
wieder der alte Wunsch nach schönen Kleidern in ihr erwachte. Aber das waren
Dinge, die für reiche Frauen bestimmt waren, nicht für Mädchen wie sie.
In diesem Augenblick klopfte es
leise, und Fancy erschrak. »Ja?« fragte sie alarmiert, obwohl sie wußte, daß
sie sicher war in diesem schönen Haus.
»Ich bin's — Alva«, sagte die
Haushälterin gedämpft.
Fancy schluckte — irgendwie hatte
sie erwartet, daß es dieser dreiste Kapitän Corbin war — und öffnete rasch.
Alva Thompkins stand auf dem
halbdunklen Flur, die Arme beladen mit Kleidungsstücken. Fancy entdeckte ein
hübsches, getupftes Morgenkleid, einen weichen, pinkfarbenen Morgenmantel, und
ein Samtkleid aus dunklem Gold. »Probieren Sie diese Sachen an«, forderte
Missis Thompkins sie auf.
Fancy trat verblüfft zurück. »Ich ...
was ...« stammelte sie.
Alva ging lächelnd zum Bett und warf
die Kleider auf Fancys karge Garderobe. »Sie gehörten Miss Melissa«, sagte sie
erklärend. »Das ist die jüngere Schwester des Pastors. Immer, wenn sie nach
einem ihrer Besuche abreist, läßt sie Dinge zurück, die sie nicht mehr haben
will. Im allgemeinen geben wir sie der Kirche, aber ich dachte, Sie könnten sie
vielleicht gebrauchen, Miss Fancy.«
Fancy war überwältigt. Es schien
unvorstellbar, daß jemand über seinen Mangel nachdachte und nur Sekunden
später so reich beschenkt wurde. Das war ihr noch nie passiert.
»Probieren Sie es an«, drängte Alva
und hielt ein Tageskleid aus lavendelfarbenem Leinen hoch. »Ich würde sagen,
um die Brust herum mußte es ein bißchen ausgelassen werden, aber das ist kein
Problem.«
Fancy nahm das Kleid stumm aus Alvas
Hand. »Kommen Sie in die Küche, wenn Sie es angezogen haben«, sagte sie. »Ich
sehe, was geändert werden muß, und dann trinken wir eine Tasse Schokolade
zusammen.«
Fancy nickte froh und zog rasch das
Flanellnachthemd aus, das bestimmt auch einmal Melissa gehört hatte. Dann
streifte sie das lavendelfarbene Kleid über ihren Kopf.
Wie Alva schon gesagt hatte, war das
Mieder ein bißchen eng, obwohl alles andere wie angegossen paßte. Der lange
Rock raschelte, als Fancy vor den Spiegel trat, der ihr ein völlig verändertes
Bild von ihr zeigte.
Irgendwann jedoch hörte sie auf,
sich zu bewundern und ging in die Küche, wo die gutmütige Haushälterin wartete.
»Es sieht sehr hübsch an Ihnen aus«, sagte sie und stand auf, um sich das Kleid
genauer anzusehen.
»Die Knöpfe gehen nur schwer zu«,
meinte Fancy bedrückt und berührte sie mit zitternden Fingern. Noch nie in
ihrem Leben hatte sie ein solches Kleid getragen, geschweige denn besessen. Und
wenn es nicht abzuändern war ... Die Enttäuschung wäre fast nicht zu ertragen
gewesen.
»Oh, das richte ich schon«, meinte
Alva zuversichtlich. »Ich kann die Nähte auslassen. Ziehen Sie es aus und
bringen Sie es mir zurück.«
Von neuer Hoffnung erfaßt, eilte
Fancy in ihr Zimmer z u rück.
Als sie
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