Corbins 03 - Wer dem Zauber der Liebe verfaellt...
keine Mühe bereiten, ihn in
Simpkinsville ausfindig zu machen.
Seufzend steckte er die Brieftasche
wieder ein. Das Leben hätte so viel einfacher sein können, wenn Adam und Jeff
bereit gewesen wären, ihn in Ruhe zu lassen, bis er alles überwunden hatte.
Doch Keith wußte, daß es nicht so war. Die Privatdetektive, die Adam und Jeff
im Laufe des vergangenen Jahres auf seine Spur gesetzt hatten, waren der beste
Beweis dafür.
Mit einem Lächeln nahm Keith seinen
schwarzen Hut, den Derora ebenfalls abgebürstet und gereinigt hatte, von der
Kommode und setzte ihn mit einem schwungvollen Schlenker auf. Über seine Brüder
und deren Spürhunde konnte er später nachdenken. Jetzt brauchte er zunächst
einmal einen Drink und eine Frau. Oder am besten mehrere Drinks und mehrere
Frauen ...
Er öffnete die Hintertür des ehemaligen
Eisenbahnwaggons und ging vergnügt hinaus. Es fiel ihm nicht auf, daß er
Amelies Ring zum ersten Mal seit jenem tragischen Tag in Wenatchee
zurückgelassen hatte.
Tess hatte sich absichtlich ganz hinten
in den Salon gesetzt, falls Derora sie bemerken sollte und beschloß, sie
fortzuschicken. Was nicht sehr wahrscheinlich war, da weitaus mehr Zuhörer
erschienen waren, als sie vermutet hatten, die meisten von ihnen Fremde.
»Hast du es schon gehört?« flüsterte
ihre beste Freundin, Emma Hamilton, ihr zu, als sie sich neben Tess auf einem
Sessel niederließ.
»Was?« entgegnete Tess und reckte
den Hals, um nach Joel Shiloh — falls das wirklich sein Name war — Ausschau zu
halten.
Emma platzte fast vor Aufregung.
Ihre Wangen glühten. Ihre roten Locken hüpften aufgeregt um ihren Kopf. »Nicht
zu fassen! Weißt du es wirklich noch nicht? Es liegt ein Vergnügungsdampfer im
Hafen. Tess — auf unserem eigenen Fluß! Siehst du den Mann dort drüben den
großen, mit dem kastanienbraunen Haar? Er ist Schauspieler!«
Tess betrachtete ihn und fand ihn
bei weitem nicht so attraktiv wie Joel Shiloh. Sein Lächeln wirkte einstudiert,
seine Züge waren zu gleichmäßig, zu perfekt, um interessant zu sein. Doch ein
Schauspieler war natürlich eine äußerst seltene Erscheinung in Simpkinsville
und daher eine Attraktion. »Weiß meine Tante es schon?« fragte Tess.
Emma kicherte hinter vorgehaltener
Hand, als Derora sich dem Schauspieler näherte. »Ganz bestimmt! Schau dir das
Theater an, das sie um ihn macht!«
Tess wurde von einer seltsamen
Erleichterung erfaßt. Vielleicht entstand eine Freundschaft zwischen Derora und
dem Fremden, wie flüchtig auch immer, die sie von Joel Shiloh ablenkte? War ein
Schauspieler denn nicht interessanter als ein Hausierer?
»Ist er nicht wunderbar?« schwärmte Emma.
»Ich könnte sterben, wenn ich ihn nur ansehe.«
»Weißt du, wie er heißt?« entgegnete
Tess ohne großes Interesse. Es bestand immer noch die Möglichkeit, daß Joel
Shiloh hereinkam und sie mit dem Programm in der Hand sah. Sie wollte seine
Reaktion auf keinen Fall verpassen.
»Roderick Waltam. Roderick!«
säuselte Emma mit verzücktem Blick. »Viel romantischer als alltägliche Namen
wie Joe oder Bill, findest du nicht?«
Bevor Tess etwas erwidern konnte,
nahm Missis Hollinghouse-Stone ihren Platz auf dem Podium ein und räusperte
sich. Augenblicklich herrschte Schweigen, und alle Blicke richteten sich auf
die unauffällige Frau in dem fließenden weißen Gewand.
»Du liebe Güte!« flüsterte Emma Tess
zu. »Sie hat ja nur eine Augenbraue!«
Tess biß sich auf die Lippen, um
nicht zu lachen. »Pst!« zischte sie warnend.
Trotz ihrer körperlichen Mängel war
Lavinia Hollinghouse-Stone eine faszinierende Rednerin und wirkte sehr
überzeugend, als sie mit der gleichen Autorität für freie Liebe eintrat, wie
sie es vor einem Monat für das Frauenstimmrecht getan hatte. Sie schritt vor
ihrem Publikum einher, unterstrich ihre Worte mit effektvollen Gesten und
senkte ihre Stimme zu einem bedeutungsvollen Flüstern, wenn es der Moment
erforderte. Einmal, als sie über das menschliche Leid sprach, das vermieden
werden könnte, wenn körperliche Liebe nicht so entschieden unterdrückt würde,
kamen ihr sogar ein paar Tränen.
»Ich gehe jetzt los und suche mir
jemanden, den ich lieben kann«, meinte Emma, als der Vortrag zu Ende war und
der Applaus verklang. »Am liebsten Roderick Waltam!«
Auch Tess war sehr beeindruckt von
Missis Hollinghouse-Stones Darlegungen, doch das brachte ihre Überzeugungen
nicht ins Wanken. »Wage es nicht, Emma!« flüsterte sie ihrer Freundin
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