Cordina's Royal Family 1-4
mit der Felswand auf der einen und dem Abgrund auf der anderen Seite. Dennoch preschten sie mit voller Geschwindigkeit dahin und genossen es.
Nur ein Verrückter ritt so – ohne Rücksicht auf Leib und Leben. Nur ein Verrückter oder ein Träumer.
„Los, Dracula, los.” Der Befehl kam leise und herausfordernd wie das darauf folgende Lachen.
Vögel, aufgeschreckt von den auf der Erde donnernden Hufschlägen, flatterten aufgeregt aus den Bäumen und Büschen hoch oben auf dem Kliff und flogen kreischend Richtung Himmel davon. Schon bald verloren sich ihre Schreie in der Ferne. Als der Pfad eine scharfe Linksbiegung machte, nahm der Hengst sie in unverändertem Tempo. Am Wegrand fielen Klippen etwa siebzig Fuß steil zum blauen Meer ab.
Kieselsteine stoben unter den Hufen hoch und hagelten geräuschlos hinunter durch den leeren Raum.
Der Reiter blickte hinab, ohne jedoch seinen Ritt zu verlangsamen.
Daran dachte er nicht einmal.
Aus dieser Höhe roch die Luft nicht nach Meer. Selbst das Geräusch sich brechender Wellen war schwach wie weit entfernter und noch ungefährlicher Donner. Aber aus dieser Höhe barg das Meer etwas ganz eigenartig Gefahrvolles und Geheimnisvolles. Der Reiter verstand es, nahm es hin, denn so war es schon immer gewesen, von Anbeginn aller Zeit. Und so würde es fortdauern. In Augenblicken wie diesen vertraute er sich dem Schicksal an.
Der Hengst brauchte keine Peitsche, keinen Ansporn, um noch schneller dahinzupreschen. Wie immer genügten die Erregung und das Vertrauen seines Herrn. Sie rasten den sich dahinschlängelnden Pfad hinunter, bis sie das Tosen des Meeres in den Ohren hatten und endlich die Schreie der Möwen hörten.
Für den Betrachter mochte es scheinen, als fliehe der Reiter vor dem Teufel oder eile zu seiner Geliebten. Wer jedoch sein Gesicht sah, wusste, es war keines von beiden.
Das Leuchten in den Augen des Reiters stammte nicht von Angst oder Vorfreude. Es war eine Herausforderung an den Augenblick und nur daran.
Die dunklen Haare des Mannes wehten im Wind, genau wie die Mähne des Pferdes.
Der schwarze Hengst, ein wahres Kraftpaket, hatte eine breite Brust und einen kräftigen Hals. Sein Fell glänzte von Schweiß, doch sein Atem kam stark und gleichmäßig. Der Reiter saß kerzengerade im Sattel, und sein gebräuntes schmales Gesicht glühte. Sein voller, wohlgeformter Mund zeigte ein Lächeln, das Wagemut und Freude verriet.
Sobald der Pfad eben wurde, griff der Hengst weiter aus. Sie kamen an weißen Häusern vorbei, vor denen Wäsche in der Meeresbrise flatterte.
Blumen wuchsen in Beeten auf sorgfältig in Ordnung gehaltenen Wiesen, Fensterläden waren weit offen. Die Sonne stand noch hoch am Nachmittagshimmel und verstrahlte ihr gleißendes Licht. Ohne langsamer zu werden und die leichte Hand seines Herrn an den Zügeln zu benötigen, preschte der Hengst auf eine hüfthohe Hecke zu.
Gemeinsam schnellten sie darüber hinweg.
In der Ferne tauchten die Ställe auf. Wie es in den Klippen hinter ihnen Gefahr und tödliche Anziehungskraft gab, so herrschte vor ihnen Frieden und Ordnung. Rot und weiß und genauso gepflegt wie die Wiesen ringsherum, verliehen die Ställe der Landschaft mit den Klippen und dem vielen Grün eine zusätzliche bezaubernde Note. Zäune grenzten Gehege ab, in denen Pferde wesentlich weniger dramatisch Auslauf fanden als Dracula.
Einer der Stallburschen hörte auf, eine junge Stute an der Longe im Kreis zu führen, als er den Hengst herankommen hörte. Was für ein Irrer, dachte er, aber nicht ohne grimmige Hochachtung. Dieses Pferd und dieser Reiter zusammen waren ein vertrauter Anblick. Dennoch warteten zwei Stallburschen vorsichtig ab, bis der Hengst langsamer wurde und stehen blieb.
„Eure Hoheit.”
Seine Hoheit Prinz Bennett von Cordina glitt mit einem Lachen, in dem noch die Waghalsigkeit nachklang, von Draculas Rücken. „Ich kühle ihn schon ab, Pipit.”
Der alte Stallknecht mit dem leicht hinkenden Gang trat vor. Sein verwittertes Gesicht war leidenschaftslos, während er seinen Blick über den Prinzen und den Hengst auf der Suche nach irgendwelchen Anzeichen von Verletzungen gleiten ließ. „Verzeihen Sie, Hoheit, aber während Sie unterwegs waren, kam eine Nachricht aus dem Palast. Fürst Armand wünscht Sie zu sehen.”
Nicht ohne Bedauern übergab Bennett dem wartenden Stallburschen die Zügel. Zu seinem Vergnügen beim Ausritt gehörte die Stunde, in der er normalerweise mit dem Hengst ging und ihn bürstete.
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