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Corkle 1

Corkle 1

Titel: Corkle 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas
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als einfacher Arbeiter verdingt, kann viel mehr verdienen als ein Spezialist mit akademischer Ausbildung im Osten. Auch das scheint sie ziemlich gestört zu haben. Und drittens waren sie über den Schmuggel sehr verärgert. Oder vielleicht waren die Russen damit unzufrieden. Jedenfalls haben die Propagandisten im Osten behauptet, die Mauer wäre errichtet worden, um dem »illegalen Export‹ von Waren wie optischen Instrumenten, Meißener Porzellan, Plauener Spitzen und dergleichen ein Ende zu machen. Sie haben behauptet, das kostete sie dreieinhalb Milliarden Mark im Jahr, wieviel das auch immer sein mag.«
    »Vielleicht hast du damit recht, daß der Westen zu sehr mit der Zahl der Flüchtlinge geprahlt hat«, sagte ich.
    »Wahrscheinlich hätte ich das auch getan.«
    »Es war einfach zu schön, um es zu ignorieren. Besonders, wenn man nach der Wiedervereinigung schreit. Aber das ist jetzt eine akademische Frage. Und wenn du von McCorkle eine Prophezeiung hören willst, bin ich dazu gern bereit.«
    »Und zwar?«
    »Solange wir leben, verschwindet die Mauer nicht.«
    »Du wettest aber nur auf sichere Bänke, Mac. Wir sind gleich da – was immer ›da‹ ist. Jetzt wieder nach links.«
    Ich bog nach links in eine dunkle, schäbige Straße, deren Namen auf dem Schild ich nicht lesen konnte, was ich auch nicht versuchte. Wir fuhren einen Block weit, und das Café Budapest lag an einer Ecke im Erdgeschoß eines dreistöckigen Hauses. Es hatte eine kleine Leuchtschrift, bei der die Hälfte der Birnen durchgebrannt war. Das Haus war ein Vorkriegsgebäude; die Stellen, an denen der Putz ausgebessert worden war, hoben sich deutlich ab. Parken war kein Problem. Wir stiegen aus und gingen zum Eingang, der schräg in die Ecke eingelassen war.
    Cooky öffnete die schwere Holztür, und wir traten ein. Das Lokal war annähernd zwanzig Meter lang und über elf Meter breit. Der Raum hatte hohe Decken, und an seinem hinteren Ende befand sich ein Podium, auf dem eine vierköpfige Kapelle eine müde Version von Wochenend und Sonnenschein zum besten gab. Einige Paare bewegten sich auf der vier mal vier Meter großen Tanzfläche, darunter zwei Mädchen, die zusammen tanzten. Zu beiden Seiten des Raums befanden sich einige dunkle Nischen, und die Theke lag vorn beim Eingang. Das Lokal war zu einem Viertel voll, und wir schienen die happy hour verpaßt zu haben. Wir zogen unsere Mäntel nicht aus.
    »Suchen wir uns einen Tisch«, sagte ich.
    Wir setzten uns an einen in der Nähe der Tür.
    »Wie spät ist es?« fragte ich Cooky.
    »Fünf vor zehn.«
    »Halten wir uns an Wodka. Angeblich ist er halbwegs genießbar.«
    Eine Kellnerin kam an unseren Tisch, und ich bestellte zwei Wodka. Wir erregten soviel Aufmerksamkeit wie ein Floh in einem Hundezwinger. Die Kellnerin kam mit dem Schnaps und wartete darauf, daß sie bezahlt würde. Cooky gab ihr ein paar D-Mark und wies das Wechselgeld zurück. Sie lächelte nicht, sagte auch nicht danke. Sie ging fort und stand müde bei einer Nische und betrachtete ihre Nägel. Nach einer Weile fing sie an, an einem zu kauen.
    Cooky trank seinen Wodka zur Hälfte und lächelte. »Gar nicht übel.«
    Ich probierte meinen. Ich kann Wodka nicht beurteilen, außer nach seiner Stärke. Dieser war hochprozentig.
    »Was machen wir jetzt?« fragte Cooky.
    »Warten.«
    »Und wenn nichts passiert?«
    »Fahren wir ins Hilton zurück, und ich versuche zu erklären, was ein Toter in meinem Zimmer zu suchen hat. Du kannst dir ja schon etwas einfallen lassen.«
    Wir saßen da, tranken den Wodka und hörten der Kapelle bei ihrer Version von Deep Purple zu. Punkt zehn Uhr ging die Tür auf, und ein Mädchen kam herein. Sie trug einen dunkelgrünen Ledermantel mit Gürtel und hochhackige schwarze Pumps. Ihr Haar war dunkel und lang und fiel ihr in einer Art Pagenschnitt bis auf die Schultern. Sie kam an unseren Tisch und setzte sich.
    »Bestellen Sie mir ein Glas Wein«, sagte sie auf Deutsch.
    Ich winkte der Kellnerin. Sie kam langsam an unseren Tisch, und ich bestellte den Wein.
    »Wo ist Weatherby?« fragte das Mädchen.
    »Tot. Erschossen.«
    Die Leute reagieren auf einen Schock sehr unterschiedlich. Manche keuchen und sagen immer wieder »nein«, als ob durch dieses Abstreiten die Dinge rückgängig gemacht werden könnten. Andere sind theatralischer, sie erbleichen, ihre Augen werden groß, und sie fangen an, sich auf die Fingerknöchel zu beißen, ehe sie schreien oder weinen. Und dann gibt es welche, die einfach

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