Corum 03 - Das Ende der Götter
zu sehen. Statt dessen, abgesehen von zwei oder drei beschädigten Gebäuden und Gärten, schien sie völlig unversehrt. Soweit sie von hier aus sehen konnte, war der Palast unbewohnt.
Wie Bwydyth-a-Horn es ihm in besseren Zeiten beigebracht hatte, landete Jhary das Schiff sanft auf einer breiten weißen Straße, direkt vor dem Tempel. Es war ein langgestrecktes, niedriges Bauwerk, völlig schmucklos. Nur ein gerader Pfeil das Zeichen der Ordnung zierte das Portal.
Mit zitternden Beinen stiegen sie aus dem Schiff. Sowohl der Flug als auch die Medizin hatten ihre Kräfte geschwächt. Mit unsicheren Schritten näherten sie sich dem Portal.
Es wurde aufgerissen, und eine furchterregende Gestalt stand vor ihnen. Ihr Gewand war zerfetzt und blutig, und ein Auge hing aus der Höhle. Sie schluchzte, aber ihre Hände fuhren wie die Krallen eines verwundeten Tieres auf die Näherkommenden los.
»Das ist ja Aleryon!« stöhnte Rhalina. »Der Priester Aleryon-a-Nyvish! Auch er ist vom Wahnsinn besessen!«
Der Greis war völlig geschwächt und hatte keine Kraft mehr, sich zu wehren, als Corum und Jhary schnell auf ihn zutraten und seine Hände auf den Seiten festklammerten. Jhary zog den Korken mit den Zähnen aus der Flasche und tupfte ein wenig von der Flüssigkeit auf seinen Finger. Corum zwang den Alten den Mund zu öffnen und Jhary strich ihm eilig die Medizin auf die Zunge. Der Priester versuchte sie auszuspucken. Er rollte mit den Augen und seine Nasenflügel blähten sich auf wie die Nüstern eines Pferdes. Aber nach ein paar Herzschlägen beruhigte er sich. Sein Körper wurde schlaff und seine Beine gaben nach.
»Wir bringen ihn in den Tempel«, bestimmte Corum. Sie legten ihn auf den Boden.
»Corum?« krächzte der Priester und öffnete sein gutes Auge. »Die Chaos-Wut verläßt mich. Ich bin wieder ich selbst - zumindest beinah.«
»Was ist mit den Bürgern von Halwyg geschehen?« fragte Jhary ihn. »Sind sie alle tot?«
»Der Wahnsinn hat sie übermannt. Schon gestern war keiner mehr bei klarem Verstand. Ich kämpfte so lange ich konnte gegen die Seuche an.«
»Aber wo sind die anderen denn alle, Aleryon?«
»Sie haben die Stadt verlassen. Sie verbergen sich in den Bergen und auf den Feldern und in den Wäldern. Sie verstekken sich voreinander und greifen sich hin und wieder auch gegenseitig an. Keiner traut dem anderen mehr darum sind sie von hier fort.«
»Hat Lord Arkyn Euren Tempel besucht?« erkundigte Corum sich. »Hat er mit Euch gesprochen?«
»Einmal aber das ist schon eine Weile her. Er befahl mir, nach Euch zu schicken. Aber ich konnte es nicht. Niemand wollte Euch holen, und ich wußte nicht, wie ich Euch sonst erreichen könnte, Prinz Corum. Und als dann die Wutseuche ausbrach, war ich nicht nicht in der Verfassung Lord Arkyn zu rufen wie ich es sonst täglich tat.«
Corum half Aleryon auf die Füße. »Ruft ihn jetzt. Die ganze Welt ist von der Seuche befallen. Ruft ihn, Aleryon.«
»Ich weiß nicht ob ich es kann.«
»Ihr müßt ihn rufen!«
»Ich werde es versuchen.« Aleryons verunstaltetes Gesicht verzerrte sich, denn nun mußte er gegen die von der Medizin hervorgerufene Euphorie ankämpfen. »Ich versuche es.«
Und er versuchte es. Den ganzen Nachmittag bemühte er sich. Seine Stimme war schon heiser von der ständigen Wiederholung des rituellen Anrufs. Viele Jahre, während derer die Ordnung verbannt gewesen war und Arioch im Namen des Chaos geherrscht hatte, war dieses Gebet unerhört geblieben. Aber in letzter Zeit hatte es Lord Arkyn von der Ordnung oft herbeigebracht.
Doch diesmal kam er nicht.
Aleryon hielt schließlich inne. »Er hört mich nicht. Oder er hört mich und kann nicht kommen. Glaubt Ihr, Chaos ist mit seiner ganzen Macht wiedergekehrt, Corum?«
Corum Jhaelen Irsei blickte zu Boden. »Vielleicht«, murmelte er.
»Schaut!« rief Rhalina und wischte eine Strähne ihres langen schwarzen Haars aus dem Gesicht. »Jhary! Schnurri ist wieder da!«
Die kleine schwarzweiße Katze flog durch das Portal und ließ sich auf der Schulter ihres Freundes und Herrn nieder. Sie legte ihr Schnäuzchen gegen Jharys Ohr und miaute eine Serie von Lauten, die den anderen unverständlich blieben. Jharys Augen wurden weit vor Überraschung und er lauschte gespannt.
»Sie spricht zu ihm!« rief Aleryon verwundert. »Das Tier spricht!«
»Die Katze kann sich nur ihm verständlich machen«, erklärte Corum.
Schließlich schwieg Schnurri. Sie machte es sich auf Jharys Schulter
Weitere Kostenlose Bücher