Corum 03 - Das Ende der Götter
meistens fand man sie irgendwo, wo man sich gerade selbst niedersetzen wollte, schlafend vor.
Solcherart verbrachten sie die Tage.
Die Küstengegend um Burg Erorn war bekannt für ihre angenehmen Sommer und milden Winter. Zwei, ja manchmal sogar drei Ernten ließen sich das Jahr über hier einbringen. Gewöhnlich gab es kaum Frost, und Schneefall nur im kältesten Monat, und selbst da nicht immer. Doch in jenem Winter, welcher der Vollendung Erorns folgte, begann es schon früh zu schneien, und es hörte auch nicht auf, bis die Eichen und Tannen und Birken im Wald vor der Burg, sich unter einer schweren glitzernden Last beugten oder gar ganz unter ihr verschwanden. Der Schnee war so tief, daß selbst ein Reiter auf hohem Rosse an manchen Stellen in ihm versinken konnte; und obgleich die Sonne den ganzen Tag am Himmel strahlte, vermochte sie nur wenig Schnee zum Schmelzen zu bringen, und das bißchen, das sie verzehrte, wurde schnell durch weiteren Schneefall aufgefrischt.
Corum empfand dieses ungewöhnliche Wetter als böses Omen, obwohl sie es in ihrer Burg warm und gemütlich hatten und keinerlei Mangel litten, auch nicht an Besuchern. Denn die Vadhagh, die sich neu auf diesem Kontinent niedergelassen hatten, hatten ihre Himmelsschiffe nicht aufgegeben, als sie Gwlas-cor-Gwrys verließen. Sie besuchten Corum und einander, und es war deshalb nicht zu befürchten, daß sie die Verbindung zur Außenwelt verloren, wie es bei den alten Vadhagh der Fall gewesen war. Trotzdem war es offensichtlich, daß Corum sich Sorgen machte. Jhary schien sie nicht allzu ernstzunehmen, während Rhalina sie ihm zu vertreiben suchte, so gut sie konnte, denn sie glaubte, er grüble wieder über Glandyth und das Vergangene.
Eines Tages standen Corum und Jhary auf dem Balkon eines der hohen Türme und blickten hinunter auf das glitzernde Weiß, das bis zum Horizont alles bedeckte.
»Ich verstehe nicht, warum mich das Wetter so beunruhigt«, murmelte Corum. »In allem sehe ich nun schon die Hand der Götter. Doch warum sollten die Götter sich damit abgeben, es schneien zu lassen?«
Jhary zuckte die Schultern. »Sagt man nicht, daß die Welt damals, ehe das Chaos sie an sich riß, rund gewesen sein soll? Vielleicht ist sie es jetzt, da die Ordnung erneut herrscht, wieder? Könnte diese Veränderung ihrer Form nicht verantwortlich für das neue Klima hier sein?«
Corum schüttelte verwirrt den Kopf. Jharys Worte hörte er kaum. Er lehnte sich über die verschneite Brüstung und legte die Hand über die Augen. Etwas entfernt hob sich eine Hügelkette, weiß wie die bewaldete Ebene davor. »Als Bwydyth-a-Horn das letztemal hier war, sagte er, so sei es überall im ganzen Lande Bro-an-Vadhagh. Ich kann nicht umhin, in diesem seltsamen Klimaumschwung eine Bedeutung zu sehen.« Er nahm einen tiefen Atemzug der frischen kalten Luft. »Doch weshalb sollte Chaos Schnee schicken, der niemandem weh tut?«
»Vielleicht fügt er den Bauern von Lywm-an-Esh Schaden zu?« meinte Jhary.
»Möglich. Doch dieser unerwartet heftige Schneefall traf nicht Lywm-an-Esh, sondern Bro-an-Vadhagh. Es ist, als suche etwas, uns unter dieser kalten Decke zu begraben, um uns unsere Kraft zu nehmen.«
»Chaos hätte dafür sicherlich Wirkungsvolleres als Schnee«, gab Jhary zu bedenken.
»Vielleicht auch nicht, nun da die Ordnung wieder über zwei der Domänen herrscht.«
»Nein, ich bin anderer Ansicht. Wenn es überhaupt das Zutun höherer Mächte ist, dann jener der Ordnung. Es ist möglicherweise das Ergebnis einiger kleinerer geographischer Änderungen, um unsere fünf Ebenen von den letzten Spuren des Chaos zu reinigen.«
»Ich muß zugeben, das wäre die logischste Erklärung«, nickte Corum.
»Wenn es einer Erklärung überhaupt bedarf.«
»Ich weiß, ich bin allzu mißtrauisch. Ihr habt vermutlich recht.« Er drehte sich der Tür im Turm zu, als Jhary nach seinem Arm griff.
»Was habt Ihr?«
Jharys Stimme klang tonlos. »Seht dort, auf dem Berg!«
»Dem Berg?« Corum spähte auf die Hügelkette. Wie erstarrt blieb er stehen. Etwas bewegte sich dort. Im ersten Augenblick glaubte er, es sei ein Tier, ein Fuchs auf Nahrungssuche vielleicht. Aber dafür war es zu groß. Zu groß sogar für einen Menschen, selbst einen Reiter auf dem Pferd. Die Gestalt schien ihm vertraut, und doch vermochte er sich nicht zu erinnern, wo er sie schon einmal gesehen hatte. Sie flimmerte, als befände sie sich nur zum Teil auf dieser und zu einem weiteren auf
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