Corum 06 - Das gelbe Streitross
Kettenhemdes und das Knarren des Zaumzeuges, als Ilbrec nach den Zügeln griff und das Pferd vorwärts zog. Zu sehen war nicht viel. Ohne die mächtigGestalt des Riesen vor sich, fühlte Corum sich den möglichen oder eingebildeten Gefahren noch mehr ausgesetzt. Hörte er da kein Lachen aus der Tiefe des Waldes? Hörte er nicht die Bewegung großer Gestalten neben sich im Gebüsch, die mit ihnen Schritt hielten, jederzeit bereit, zuzuschlagen? War das keine Hand, was gerade sein Bein berührt hatte?
Weitere Lichter flackerten auf, aber diesmal waren sie direkt vor ihnen.
Etwas keuchte in der Nähe.
Corum griff nach seinem Schwert. »Habt Ihr auch das Gefühl, wir werden beobachtet, Ilbrec?«
»Das wäre möglich.« Die Stimme des jungen Reisen klang fest, aber angespannt.
»Alles, was wir hier gesehen haben, zeugt von einer großen Zivilisation, die schon vor Jahrtausenden untergegangen sein muß. Vielleicht hat Ynys Scaith längst keine intelligenten Bewohner mehr.«
»Vielleicht.«
»Vielleicht haben wir hier nur wilde Tiere zu fürchten und längst vergessene Krankheiten. Kann es nicht sein, daß die Luft das Gehirn angreift und ungesunde Gedanken überträgt, schreckenerregende Visionen?«
»Wer weiß?«
Aber diese Antwort war nicht von Ilbrec gekommen.
»Ilbrec?« flüsterte Corum. Er fürchtete, sein Freund könne plötzlich einfach verschwunden sein.
Einen Augenblick war alles still.
»Ilbrec?«
»Ich habe es auch gehört«, antwortete Ilbrec. Corum fühlte ihn einen Schritt näher kommen. Ilbrecs Hand legte sich beruhigend auf Corums Arm. Dann rief der Sidhi mit lauter Stimme: »Wo seid Ihr? Wer hat da zu uns gesprochen?«
Aber niemand antwortete, und so setzten sie ihren Weg fort, bis sie schließlich an eine Stelle gelangten, wo das Sonnenlicht durch die Zweige brach, und der dunkle Pfad sich in drei Korridore teilte. Der mittlere schien der kürzeste zu sein, denn durch die Dämmerung zwischen den Büschen konnte man in einiger Entfernung deHimmel sehen.
»Der scheint der beste zu sein«, meinte Ilbrec und saß wieder auf. »Was sagt Ihr, Corum?«
Corum zuckte die Achseln. »Sieht fast nach einer Falle aus«, erwiderte er. »Als wollte das Volk von Ynys Scaith uns irgendwo hin locken.«
»Sollen sie doch, wenn sie das vorhaben«, sagte Ilbrec.
»Das denke ich auch.«
Ohne weiteren Kommentar lenkte Ilbrec Zaubermähne in den mittleren Gang.
Langsam wurde das Blattwerk über ihnen lichter. Schließlich weitere sich der Waldpfad zu einer Art Straße mit einzelnen Büschen auf beiden Seiten. Sie führte zu einer Reihe hoher, geborstener Säulen, um die sich abgestorbene Flechten rankten, braun, schwarz und dunkelgrün. Darunter waren Reliefe mit dämonischen Wesen und grinsende Tierköpfe zu erkennen. Erst als sie zwischen den Säulen hindurch waren, bemerkten sie, daß sie inzwischen auf einer Brücke trabten, die sich über einen breiten, grauenerregend tiefen Abgrund spannte. Die Brücke mußte einmal von einem steinernen Geländer eingefaßt gewesen sein, das jetzt zum größten Teil zerfallen war. Durch die Lücken konnten sie in den Abgrund hinunter sehen. Schwarze Wasser brodelten dort, in denen unbeschreibliche, reptilienähnliche Kreaturen schnappten und kreischten.
Ober die Brücke heulte ihnen ein unangenehmer Wind entgegen; ein kalter Wind, der an ihren Mänteln zerrte, und das Pferd über den Rand der schwankenden Steinkonstruktion in den Abgrund zu drängen schien.
Ilbrec warf fröstelnd einen Blick über den Rand und zog sich seinen Mantel enger um die Schultern.
»Diese Bestien dort unten sehen groß aus. Ich habe noch keine größeren gesehen. Seht Euch die Zähne an, die sie in ihren aufgesperrten Mäulern haben! Seht diese gierigen Augen, die knochigen Klauen und die Hörner! Ich bin froh, daß wir hier oben vor ihnen sicher sind, Corum!«
Corum nickte zustimmend.
»Diese Welt ist nicht für einen Sidhi gemacht«, murmelte IIbrec.
»Auch nicht für einen Vadhagh«, setzte Corum hinzu.
Als sie die Mitte der Brücke erreichten, nahm der Wind so zu, daß es selbst Zaubermähne mit seinem riesigen Körper schwer fiel, ihm standzuhalten. Corum blickte auf und sah etwas, das er zunächst für einen Vogelschwarm hielt. Es waren etwa zwanzig, die in einem ungeordneten Keil flogen. Als sie näherkamen, entdeckte Corum, daß es keine Vögel waren, sondern geflügelte Reptilien, in deren langen Schnäbeln scharfe, gelbe Fänge blitzten. Er stieß Ilbrec an und wies nach
Weitere Kostenlose Bücher