Coruum Vol. 1
hat stark geregnet und der Wasserspiegel in der Höhle ist wieder gestiegen. Wir konnten die Stele zwar vermessen, aber noch nicht bergen. Morgen machen wir den nächsten Versuch, wenn alles klargeht.«
»Und was ist dein Eindruck. Was habt ihr gefunden?«, fragte ich sie gespannt.
Karen lächelte vor sich hin. »Eine gute Frage, Don.« Sie bog schwungvoll auf die Hauptstraße Richtung Brücke ein.
»Ich kann es dir noch nicht hundertprozentig sagen. Es ist für mich klar, dass es sich um einen sehr alten und sehr großen Ballspielplatz handelt. Die gefundenen Überreste von zwei Torringen sind ein deutlicher Beweis dafür.
Solche Plätze hatten bei den Maya immer eine hohe religiöse Bedeutung. Daher vermutete ich von Beginn an sehr stark, dass dieser Platz nicht isoliert in der Landschaft existierte, sondern von einer Stadt umgeben war.«
»Und wir haben in der Höhle um den Ballspielplatz herum tatsächlich die Ansätze großer Fundamente gefunden – im wesentlichen breite Treppenansätze – aber durchaus vergleichbar mit der Anordnung, wie in Tikal der große Platz von den Tempelpyramiden der zentralen Akropolis umgeben ist.«
Karen warf mir einen kurzen Blick zu und konzentrierte sich auf die Brücke, die jetzt direkt vor uns lag. Die Brücke war ursprünglich einspurig gebaut worden. Mittlerweile war sie, um dem zunehmenden Verkehr gerecht zu werden, auf zwei Fahrspuren erweitert worden, welche aus breiten Holzbohlen bestanden, von denen etliche zum Teil oder vollständig fehlten. Ich versuchte die Wassertiefe abzuschätzen und vergewisserte mich, dass mein Seitenfenster geöffnet war, um im Notfall die Tür unter Wasser schnell aufstoßen zu können.
Karen hing ihren Gedanken nach, nahm meine vorübergehende Beunruhigung nicht zur Kenntnis.
»Die Umgebung der Grabungsstelle ist hügelig und bewachsen, wie alles hier um den See herum, mit Ausnahme des Flughafens. Die Treppenansätze könnten durchaus zu verschütteten Gebäudestrukturen gehören. Platz ist da genug.
Irritierend ist nur die unmittelbare Nachbarschaft zu Tikal – es sind nur knapp dreißig Kilometer bis ins Stadtzentrum. Das wäre für damalige Verhältnisse relativ dicht zusammen gewesen. Normalerweise siedeln nur verbündete Städte im gleichen Königreich so nah beieinander.«
Sie schwieg nachdenklich und ich hielt kurz die Luft an, als uns ein alter LKW aus der Gegenrichtung fast von der Brücke gedrängt hätte.
Fear no fear! Dachte ich bei mir an den Schlachtruf meines Clans.
»Warum sollten sie nicht verbündet gewesen sein?«, fragte ich sie.
»Die Inschrift auf der Stele, die wir in der Höhle gefunden haben. Es sind zwar Emblemhieroglyphen dargestellt – die haben bei den Maya der Klassik Städte und ihre Herrscher identifiziert – jedoch ist die dargestellte Hieroglyphe für die Stadt vollkommen unbekannt.
Es ist einfach sehr unwahrscheinlich, Don, dass wir mitten in Petén auf eine neue Stadt stoßen, auf die es vorher keinerlei Hinweise in anderen Städten gegeben hat, vor allem, wenn sie so nahe bei Tikal gelegen hat.«
Wir erreichten die Insel und Karen beschleunigte das Tempo. Die Häuser am Straßenrand waren alt, aber farbenfroh. Die Bürgersteige waren mäßig belebt, überwiegend von älteren Leuten. Läden gab es kaum, ein paar Cantinas mit dürren Holzstühlen auf dem Bürgersteig davor, gruppierten sich locker an einer Kreuzung, mit den entsprechenden Machismos besetzt, die der attraktiven Gringa am Steuer mit klickenden Augäpfeln hinterher sahen.
Wir bogen einige Male ab und fuhren durch die mit Schlaglöchern übersäten Seitenstraßen. Karen bremste etwas schärfer, um einem vor uns abbiegenden Kleinlaster auszuweichen, und rief ihm auf spanisch einen Fluch hinterher.
»Natürlich besteht immer die Möglichkeit«, riss sie mich aus meinen Gedanken, »dass es wirklich eine neue Stadt ist. Die Querverweise auf den entzifferten Stelen anderer Städte verweisen überwiegend auf Städte, die zur gleichen Zeit existiert haben. Es besteht die Möglichkeit, das diese neue Stadt älter oder jünger ist als zum Beispiel Tikal.«
Karen bog erneut ab, und das Straßenpflaster wurde abermals rauer und glich jetzt eher einem Feldweg mit vereinzelten Steinen.
Wir kamen auf einem kleinen, von einem baufälligen Holzzaun beschützten Parkplatz zum Stehen. Einige Fahrzeuge aus unterschiedlichen Zeitaltern hockten hier herum, passend zum Gebäude. Es war im spanischen Kolonialstil erbaut und musste ursprünglich
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