Coruum Vol. 1
Schwanzfedern. Wir tippen hier auf den heute nahezu ausgestorbenen Quetzal. Wie du siehst, erscheint diese Hauptglyphe auch als Nebenglyphe der Emblemhieroglyphe.« Sie deutete auf ein auf der Kopie nur schwach zu erkennendes kleines Bildchen der ersten Hieroglyphe.
»Wir gehen durch die Abbildung des Jaguars, einem der wichtigsten Götter der Maya, davon aus, dass der Herrscher wirklich ein König war. In unseren Berichten nennen wir ihn Q-Jaguar von Quetzal-Jaguar, oder Herrn Q-Jaguar, wie es die Maya tun«, ergänzte Raymond.
Ich legte das Blatt wieder auf den Lageplan.
»Mit den übrigen Nebenglyphen haben wir auch so ein Problem.« Raymond zeigte auf die zwei kleinen Bildchen über der Q-Jaguar-Hauptglyphe. Auf meiner Faxkopie konnte ich nur ein paar unzusammenhängende Linien erkennen. Raymond ging zu seinem Schreibtisch hinüber und kam mit einer Zeichnung wieder.
»Das ist eine Umzeichnung, die ich gestern auf Basis der Fotos gemacht habe. Darauf sind die Nebenglyphen besser zu erkennen. Mit etwas Phantasie sieht die linke aus wie ein ausbrechender Vulkan. Doch die nächstgelegenen Vulkane befinden sich im Hochland, mehr als 350 Kilometer südlich von hier. Ich halte es für ausgeschlossen, dass die Maya aus Petén ihnen eine solche Bedeutung beimaßen, sie in ihrer Königsglyphe zu erwähnen.«
»Die rechte sieht aus wie drei senkrechte Striche mit i-Punkten in einer Schleife«, er sah uns an. »Ich habe ehrlich keine Ahnung. Das alles sind vollkommen neue Bilder, die niemals vorher dokumentiert wurden.«
»Und sie weichen stilistisch sehr von allen anderen Maya-Hieroglyphen ab!«, erklang eine neue Stimme.
Wir drehten uns zur Seite, wo unbemerkt eine hübsche junge Frau mit schwarz schimmernden, kurzen Haaren durch die Tür eingetreten war. Als sie mich mit ihren mandelförmigen, dunklen Augen erblickte, verharrte sie kurz in ihrer Bewegung.
»Komm rein, Sinistra. Du hast Dr. MacAllon noch nicht kennen gelernt.« Karen winkte sie zu uns heran. »Wir sehen uns gerade seine Auswertungen bezüglich der Hieroglyphen an.«
»Donavon, das ist Sinistra. Sie arbeitet für das Institut und hat die Höhle mit entdeckt. Sie begleitete die Studenten auf ihrer Tour.«
»Ich hätte sie lieber unter glücklicheren Umständen entdeckt.« Ein Schatten fuhr über ihr strahlendes Lächeln. »Professor Williams ist dabei ums Leben gekommen und es ist irgendwie meine Schuld, weil ich ihn nicht von der waghalsigen Tour abhalten konnte«, fuhr sie niedergeschlagen fort.
Karen ging zu ihr hin und legte einen Arm um sie. »Mach’ dir bitte keine Vorwürfe. Er wollte seinem Studenten helfen. Du konntest ihn nicht davon abhalten!«
Sie drehte sich zu mir um und versuchte die junge Frau vom Thema abzulenken.
»Sinistra ist unsere Expertin für Tikal. Sie hatte die Emblemhieroglyphe zuerst interpretiert und hat für mich alle Vorarbeiten am Vermessungscomputer gemacht«, erklärte Raymond.
»Setz dich zu uns, ab jetzt wird es spannend.« Karen zwinkerte mir zu. Sinistra setzte sich auf die Schreibtischplatte und ließ ihre makellos braunen Beine baumeln.
Ich konzentrierte mich wieder auf das Papier.
»Lassen wir die Bedeutung der Nebenglyphen im Moment auf sich beruhen, ich werde im letzten Teil darauf zurückkommen.« Ich sah Karen an.
»Du hattest natürlich Recht mit der Bestimmung des Datums.« Ich zeigte auf die folgenden Zeilen des Blattes.
»Die Initialserie setzt sich mit der Beschreibung des Datums fort. Wir sehen hier die über beide Spalten geschriebene Einführungsglyphe, gefolgt von den Hieroglyphengruppen für die unterschiedlichen Kalenderschreibweisen der Maya. Sie sind hier wirklich auf Nummer Sicher gegangen. Zuerst die lange Zählung mit 9 Baktun, 6 Katun, 6 Tun, 6 Uinal und 12 Kin.«
Ich zeigte auf die folgenden Hieroglyphen.
»Hier kommt der Kalender des Tzolk’in mit 13 Eb, gefolgt von 0 Xul im Jahreskalender Haab. Die Darstellung ist soweit nicht ungewöhnlich für wichtige Ereignisse, wenn wir von der protzigen Schreibweise des Schöpfungsdatums mit fünfzehn Stellen einmal absehen.« Mein Finger verharrte auf den letzten Hieroglyphen.
»Da haben Sie Recht, Doktor.« Sinistra zeigte auf die fünfzehn Gruppen des Wertes 13, der für die Maya eine Würdigung Ihrer dreizehn Götter darstellte, und im mathematischen Sinne mit Null gleichzusetzen war. »In Tikal gibt es zwei Funde neueren Datums, auf denen das Schöpfungsdatum sogar mit zwanzig Stellen notiert wurde, in der Stadt Cobá tauchte
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