Coruum Vol. 2
sagte: »Ramone muss davon wissen!«
Vater Rastolon nickte. »Ja! Aber was mag der Grund für die gelöschten Gehirnmuster-IDs sein? Warum fällt der Beginn der Vernichtungsaktion mit dem gewaltsamen Tod der damaligen Urmutter und der Benedictine zusammen?«
»Aonia!« Raoula sprach den Namen leise aus. Der Abt verstummte.
In Gedanken reiste sie ein paar Tage zurück zur alptraumhaften Promotion auf Innocentia II, als Vater Debruhik, der Abt von Serkan, ihr während seiner letzten Beichte etwas mitzuteilen begann und Ramone ihn mitten im Satz getötet hatte. Ich weiß, wer der Mörder von Aon… , hatte der Greis begonnen. Um dieses Wissen und weitere Hintergründe zu erfahren, hatte er sein Leben riskiert – und verloren. Raoula wusste jetzt, welchen Namen er nicht aussprechen durfte: er war sich sicher gewesen, zu wissen, wer der Mörder von Aonia war. Warum hatte Ramone verhindert, dass er es aussprach? Und warum hatte die Urmutter sie anschließend dazu gezwungen, ihren einstigen Gemahl und Vater ihrer Söhne zu töten? Was wusste Ramone von dieser Geschichte? Handelte sie aus einem übergeordneten Interesse der Kirche heraus oder hatte sie persönliche Motive?
Raoula sah einen Moment lang auf die arme Gestalt des Abtes herab, der ihrem Blick unterwürfig begegnete.
»Ich gehe auf den Handel ein, Vater«, sagte sie leise, »aber bevor du dich reinkarnieren darfst, wirst du mich auf eine Reise begleiten.«
Sein Gesicht drückte Überraschung aus.
»Wir werden nachsehen, ob dein Verdacht gerechtfertigt ist.« Sie drehte sich in die Tiefe des Richtsaals.
» Primus! «
Ein Kirchenritter trat mit wehendem Umhang in die Tür, durch die auch Raoula den Richtsaal betreten hatte.
»Mutter?«, erklang seine Stimme durch das elektronische Visier.
»Wir fliegen nach Infinitum. Bereite alles vor!«
Nebel, Nebelwelten, Infinitum, Mausoleum der Urmütter
30397/1/22 SGC
25. Oktober 2014
Raoula
Es war fünf Uhr in der Früh und kalt. Die ersten violetten Strahlen der Sonne streiften unter einem wolkenlosen Himmel in einigen Kilometern Entfernung die oberen Ränder des eindrucksvollen Gedenkturms für die Urmütter der Kirche auf Infinitum. Der Turm in der Form zweier vertikal und horizontal gegeneinander verschobener Halbzylinder setzte mit seinen scharfen Kanten einen deutlichen Kontrapunkt in die sonst weichen und geschwungenen Linien der Wüstenlandschaft, die zu dieser Zeit noch von Frühnebelfeldern bedeckt war.
Wie die Wogen eines unendlichen violetten Meeres brandeten die Nebelschwaden gegen das halbkugelförmige Schutzfeld des Mausoleums an. Raoulas Blick ruhte auf einem in der Sonne funkelnden Reflex in der Mitte der vorderen Nahtstelle der Halbzylinder des Gedenkturms, gerade oberhalb des Nebels. Sie wusste, dass es sich um die Sonnenspiegelung im Symbol der Urmütter handelte, den beiden gegenläufig zueinander angeordneten Sicheln der Sonnen Phiy und Kura, wie sie vor ihrer Verwandlung in Supernovae von Innocentia aus zu sehen waren, bevor sie sich hinter dem Schwesterplaneten zu einer doppelten Sonnenfinsternis verbargen. Der Grundriss des Turms entsprach genau dieser Anordnung der Sicheln und war einem lang gezogenen Mausoleum vorgesetzt, das sich im Moment der Ansicht der Benedictine, Vater Rastolons und ihrer Begleitung zum größten Teil entzog, da es zur Hälfte in den felsigen Untergrund eingefügt war. Infinitum war der Ort der letzten Ruhestätte einer jeden Urmutter der Kirche – ein Planet des Gedenkens.
Die Benedictine nickte dem Primus neben ihr zu, der die Antigrav-Scheibe langsam die große Sanddüne hinunter in Richtung des Schutzfeldes in Bewegung setzte. Hinter ihr folgte Vater Rastolon mit einem anderen Ritter auf einer zweiten Scheibe. Die knapp zwei Meter großen Scheiben brachten sie in kurzer Zeit zum Schutzfeld, durchdrangen es problemlos und landeten am Fuß der Gedenkstätte auf dem Boden aus großen, rechteckigen Quadern. Vor ihnen ragte ein in den Turm zurückgesetztes, nach oben spitz zulaufendes Portal auf, dessen Spitze die Sphären der Nebelwelten krönte – der heutigen Darstellung der Supernovae.
Raoula entspannte sich und erlaubte dem Gedankenscanner des Portals, ihre Gehirnmuster-ID zur Autorisierung ihres Eintritts zu lesen. Mit einem kurzen Knirschen begannen sich die drei dunkelroten Flügel des Portals in Richtung der Ecken zu öffnen. Sie flogen durch den Eingang und erreichten ein zweites Portal, das sich bei ihrem Näherkommen in den Boden
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