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Coruum Vol. 2

Coruum Vol. 2

Titel: Coruum Vol. 2 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael R. Baier
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absenkte und den Blick auf zwei mehr als fünfzig Meter hohe Statuen einer Frau und eines Mannes freigab. Beide standen im Mittelpunkt je eines der Halbzylinder, den Blick auf die jeweils andere Statue gerichtet. Das violette Sonnenlicht des jungen Tages drang durch die Nahtstellen der Halbzylinder ein und hüllte die hellen Wände und den gesamten Innenraum in ein unwirkliches, diffuses Licht, das dem schwarz schimmernden Material der Statuen eine mystische Note gab.
    Raoula fühlte wie bei ihrem letzten Besuch die ungeheure Präsenz des Alters dieses Ortes. Es war das zweite Mal in ihrem Leben, dass sie das Mausoleum von Cestorine 1., der ersten Urmutter der Kirche, erleuchtet 17573, und ihrem Gemahl, dem namenlosen Urvater, betrat. Der Primus ihrer Garde stoppte die Antigrav-Scheibe in respektvollem Abstand zu den Statuen und senkte sie vollkommen auf den Boden ab. Raoula legte ihre Kapuze zurück, ergriff ihr Zepter und betrat wortlos den matten Steinboden. Die äußere Form der Statuen entsprach exakt dem Aussehen der ersten Urmutter und ihres Gemahls zum Zeitpunkt ihrer Erleuchtung. Cestorine hatte danach nur noch siebenundzwanzig Jahre gelebt – eine bescheidene Zeitspanne für die höchste Repräsentantin im Vergleich zur Gegenwart – den Überlieferungen nach jedoch eine prägende Zeit für die Kirche.
    Die Benedictine umrundete langsam jede Statue zweimal und folgte dabei dem geschwungenen Weg einer Acht, den sie einmal in jeder Richtung zurücklegte. Sie war dabei in Gedanken über die Urmutter und den Urvater und ihre gemeinsame Lehre von der Entstehung der Kirche und der Nebelwelten versunken. Das Ende ihrer Lebensspanne vor Augen, hatten Cestorine und ihr Gemahl die Grundpfeiler der Kirche gelegt. Die Urmütter sollten sich fortan der Entwicklung und Erziehung ihrer Söhne und Töchter widmen, würden die Kirche inhaltlich führen, während die Urväter diese Erziehung fördern und beschützen sollten. Mit dem Tod von Cestorine zog sich ihr namenloser Gemahl nach Tempelton zurück und begründete dort die Orden der Kirchenritter.
    Als Raoula wieder zwischen den Statuen angelangt war, verharrte sie mehrere Minuten in tiefer Andacht, den Kopf der Urmutter zugeneigt. Sie war erschüttert, als in diesem Moment der Ruhe das Bild ihres Gemahls Damon vor ihrem inneren Auge aus der Vergangenheit auferstand, wie er zu der Zeit ihrer gemeinsamen Liebe auf Antaros ausgesehen hatte, und sie es nicht wieder verdrängen konnte. Tränen liefen über ihr Gesicht und unbändige Wut auf Ramone wuchs in ihr. Raoula widerstand dem Impuls, sie wegzuwischen, sie kämpfte um ihre Fassung. Ihr Primus und Vater Rastolon würden ihre Tränen sicher bemerken, doch wohlwollend ihrer tiefen Andacht zuschreiben.
    Mit verschleiertem Blick setzte sie schließlich ihren Weg mit Richtung auf das hintere Portal des Gedenkturms fort. Ihre Eskorte mit Vater Rastolon folgte in großem Abstand, den Rang ihrer Person und ihre Andacht respektierend. Die Flügel des inneren Portals öffneten sich geräuschlos und blendendes Tageslicht überschüttete ihr blondes Haupt mit der zierlichen Benedictinen-Krone.
    Sie sah durch das geöffnete äußere Portal auf das lang gestreckte Mausoleum der übrigen Urmütter am Fuße einer langen, breiten Treppe. Wie ein in der Brust aufgeschnittener Torso einer großen Schlange lag das eindrucksvolle Sakralgebäude unter ihr. Unzähligen, aus einem fahlweißen Körper herausstechenden, schwarzen Rippen gleich, ruhten die Statuen der verstorbenen Urmütter unter einem mittlerweile blauen Morgenhimmel.
    Raoula brauchte sie nicht zu zählen. Es waren genau 179, in der Höhe etwa um die Hälfte kleiner als die von Cestorine, stellten sie die lückenlose Abfolge der höchsten Repräsentantinnen der Kirche dar. Die Benedictine sagte sich alle Namen auf – in der richtigen Reihenfolge – während sie langsam die weißen Treppenstufen in das Mausoleum hinabschritt. Ein erster, wärmerer Fallwind des Morgens verfing sich hinter dem Gedenkturm in ihrem roten Gewand und ließ es wie ein langes Banner hinter ihr herwehen.
    Unten angekommen, verwandelte sich der Boden in einen bunten Teppich aus den unterschiedlichsten Steinarten, ein Material aus der Heimatwelt jeder Urmutter repräsentierend. Ergriffen setzte sie unter den zur Mitte geneigten Häuptern der Statuen ihren Weg fort. Die Ausführung der Statuen – alle Urmütter sahen zur Wegmitte – vermittelte jedem Betrachter dort unten den intensiven Eindruck, sehr

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