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Coruum Vol. 2

Coruum Vol. 2

Titel: Coruum Vol. 2 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael R. Baier
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schwierig, sie aufzumachen, während man drinsitzt«, ermahnte ich ihn.
    »Werde ich versuchen, Mister«, erwiderte er unsicher.
    Ich nahm die Handschlinge in beide Hände und schob sie so weit wie möglich den Baumstamm hoch.
    »Warte!« Kurz darauf wurde ich von Sturgis hochgehoben und konnte die Schlinge noch zwei Meter weiter oben verknebeln.
    Dann zog ich die Beine an und fixierte die Fußschlinge, worauf ich die Hände wieder freibekam. Ich richtete mich auf und sah hinunter. »Danke! Passen Sie auf, wie ich Hand- und Fußschlinge einsetze, und halten Sie den Körper immer dicht am Stamm.«
    Er nickte. Das Seil war zu kurz, um den ersten soliden Aststummel zu erreichen. Die Knoten und Buchten hatten viel Länge verbraucht.
    »Kommen Sie nach«, rief ich ihm zu, vielleicht sieben Meter über ihm und noch zwei Meter vom ersten Ast entfernt. Er stand bereits in Startposition, beide Hände weit nach oben am Stamm ausgestreckt. Als er die Beine anzog, rutschte die Handschlinge ab und er traf hart mit der Wange auf den Stamm. Ich konnte die blutigen Striemen sehen.
    »Denken Sie vor allem immer an festes Verknebeln. Es kommt nicht darauf an, große Strecken zurückzulegen«, ermahnte ich ihn von oben, wissend, dass ich ihm nicht würde helfen können, sollte er es nicht von allein schaffen. »Versuchen Sie kleine Bewegungen!« Hochziehen konnte ich ihn nicht.
    Langsam startete er seinen zweiten Versuch. Die Handschlinge rutschte ein paar Zentimeter auf der blutverschmierten Stelle aus, trug ihn aber anschließend. Sturgis arbeitete am Anfang fast ausschließlich mit Kraft und nicht mit Technik. So würde er es nicht schaffen, aber ich sah auch, dass er Angst hatte, wieder abzurutschen, und diese Angst würde mit zunehmender Höhe größer werden. Nach ein paar Minuten hatte er sich zwei Meter in die Höhe gekämpft und verharrte schnaufend. Ich kletterte so weit nach oben, wie mir sein Voranschreiten Seilspiel verschafft hatte. »Los Sturgis, noch einen halben Meter!«, rief ich herab. Mein Blick reichte jetzt über die Kante der Felsstufe hinweg und ich sah den Absatz, auf dem Karen sich befand und schweigend zu mir hochblickte. Das Sonnenlicht des voranschreitenden Tages schien mir wohltuend auf den Kopf und es beleuchtete auch den Rand des unteren Absatzes. Wäre unsere Lage nicht so bedrohlich – diese Aussicht wäre ein Ansichtskartenmotiv wert gewesen. Das goldfarbene Sonnenlicht ließ die Wände in den unterschiedlichsten Schattierungen von Weiß und Rot erstrahlen, verstärkt durch den Feuchtigkeitsüberzug des Felsens. Weit unter mir hingen unzählige Regenbögen über der grauen Dunstwolke des in der Tiefe verschwindenden Wassers. Der See hinter mir war vollkommen dunkel, mit hellgrauen Gischtflecken und dem sich drehenden Neer an der Stelle des Abflusses. Alles überstrahlend donnerte nur noch knapp fünfzehn Meter von mir entfernt der glitzernde Fall von der Oberfläche herab und traf auf nackten Felsen, der die Wassermassen in den See auf der Felsstufe leitete. Unser Weg nach oben würde uns noch näher an den Wasserfall heranbringen.
    Das Seil entspannte sich ein wenig. Ich kletterte einen Armzug höher und legte die Sicherungsschlaufe um einen beindicken Aststumpf.
    »Kommen Sie, Sturgis! Ruhen Sie sich aus, wenn Sie sicheren Halt mit den Beinen haben.« Er sah zu mir hoch, und blies die Luft demonstrativ aus. Dann schob er beide Arme nach oben und verknebelte die Handschlaufe. So kamen wir langsam weiter voran. Es wurde einmal brenzlig, als Sturgis das Gleichgewicht verlor und unter den Stamm zu rutschen drohte. Glücklicherweise war sein Seil in dem Moment an einem kleinen Aststumpf verhakt, der ihn hielt, bis er mit gutem Zureden wieder die Kontrolle zurückerlangt hatte.
    »Sehen Sie besser nicht runter«, war ein weiterer Ratschlag, von dem ich nicht wusste, ob er wirklich hilfreich für ihn war – aber irgendetwas musste ich sagen, allein um meine eigene Anspannung flach zu halten.
    Nach deutlich mehr als einer gefühlten Stunde erreichten wir die Oberfläche. Gut fünf Meter weiter unten hatte ich alle Knoten öffnen müssen, als wir den Punkt erreichten, von dem an die Äste noch ganz waren. Nach einem letzten Winken zu Karen, die klein und verletzlich fast dreißig Meter unter uns stand, hatte es mich große Überwindung gekostet, das letzte Stück durch die Äste zu bewältigen.
    Die Wärme der Luft und das Sonnenlicht ließen uns aufatmen. Wir kletterten auf den brüchigen Felsenrand und

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