Coruum Vol. 2
ging zur Wand, einen seiner Meinung nach geeigneten Einstieg suchend. Ich folgte ihm, blieb aber ein paar Meter entfernt wie angewurzelt stehen, als ich auf einen Stein trat, der unter meinem Stiefel seltsam nachgab. Ich drehte mich um und bückte mich. Es war in der Tat ein sehr seltsamer Stein, der dort aus einer mit milchigem Kalkschlamm gefüllten Vertiefung heraus sah. Merkwürdig gekrümmt, wie ein – Finger! Ich zuckte zurück.
»Was hast du gefunden, Don?« Karen war neben mich getreten und sah mich fragend an. Ich bückte mich erneut, überwand meinen Ekel und hob den Finger auf. Er war mit Kalkschlamm überzogen und steckte in einer Art Handschuh – oder in diesem Fall – Fingerschuh . Ich ging an die Wand heran, hielt den Finger unter eines der zahllosen Wasserrinnsaale und wusch den Kalk ab.
Sturgis hatte seinen ersten Kletterversuch abgebrochen, als er Karen und mich den Fund untersuchend bemerkt hatte, und war neugierig zu uns herangetreten. »Das sieht aus wie ein Ring!«, bemerkte er.
Der Finger war groß. »Ein Zeigefinger, würde ich sagen, sonst müsste der Mann riesige Hände gehabt haben.« Karen nickte schweigend, vorsichtig mit einem Fingernagel das Material des Ringes berührend. »Ein gegliederter Ring, der fast den ganzen Finger umhüllt, oben dick, unten dünn. Ist aber kein Teil eines Handschuhs. Er hat keine Bruchstellen.«
Der Ring war schwarz, hochglänzend an den Stellen, die etwas sauberer waren. Er reichte vielleicht zweieinhalb Zentimeter über die Stelle, an welcher der Finger aus der Hand gerissen worden war, hinaus. »Das hat bestimmt weh getan«, sagte Sturgis mit verzogenem Mund, angesichts der zerfledderten Rissstelle von Haut und Knochen.
»Das denke ich auch, allerdings war der Mann schon betäubt, als das geschehen sein muss.« Karen sah mich ratlos an. »Wir waren nur einen Meter davon entfernt, als der Soldat den Mann niedergeschlagen hat, aber ich habe nicht gesehen, wie es passiert ist? Du?«
Ich schüttelte den Kopf. »Nein. Es war sofort wieder dunkel. Ich habe eher darauf geachtet, keinem im Weg zu sein.«
Karen nahm den Finger aus meiner Hand und drehte ihn hin und her. Der Ring war dem Finger ergonomisch perfekt angepasst. Die Beweglichkeit der Fingerglieder war nicht im Geringsten eingeschränkt und die Unterseite der Fingerkuppe sowie der größte Teil des manikürten Fingernagels waren unbedeckt. »Wisst ihr, was das ist?« fragte sie in die Runde. Sturgis warf mir einen unsicheren Blick zu, so als frage er mich im Stillen: Was meint sie? Ist doch ein Finger!
Als wir nicht antworteten, grinste sie mich schelmisch an, mit der freien Hand ein paar Wassertropfen von der Stirn wischend und dabei neue Spuren in dem Kalküberzug auf ihrem Gesicht hinterlassend. »Das ist das erste außerirdische Genmaterial, das jemals ein Mensch gefunden hat.«
Ich nahm ihr den Finger aus der Hand, verstaute ihn in einer mit Reißverschluss gesicherten Tasche meiner Jacke und grinste zurück. »Das ist das erste außerirdische Genmaterial, das jemals von einem Schotten gefunden wurde.«
Karen lachte. »Seid ihr Schotten keine Menschen?«
»Jedenfalls besondere!«, erwiderte ich und sah sie traurig an. »Und jetzt müssen wir wirklich los.« Ich deutete mit einer verbundenen Hand auf die unebene Wand über uns. »Wenn wir diese Stufe dort erreichen, Sturgis, schaffen wir es möglicherweise auf den großen Felsen, unterhalb von den abgebrochenen Baumstämmen. Zu zweit gelingt es uns vielleicht, auf den Stämmen weiter nach oben zu klettern.«
Sturgis verfolgte den Weg, während ich ihn beschrieb. Dann nickt er. »Könnte gehen. Wissen tun wir es erst, wenn wir auf der Stufe sind.«
Ich ging zu Karen und nahm sie in die Arme. »Sei tapfer. Wenn wir da oben rauskommen, gehen wir zurück zum Lager. Hilfe ist zuerst dort zu erwarten. Es kann durchaus einen Tag dauern, bis wir wieder da sind – oder länger.«
Sie sah mich ernst an. »Das halte ich aus, aber Sinistra hat vielleicht nicht so viel Zeit!« Sie ergriff mit beiden Händen meinen Jackenkragen und zog mich an ihre Lippen. Als sie mich wieder wegdrückte, erkannte ich einen leichten Roséton unter der Kalkschicht auf ihren Wangen. »Hau ab!« Mit dem Handrücken wischte sie sich verstohlen eine Träne weg und hinterließ eine dunkle Spur auf der Wange.
Der Amerikaner war bereits drei Meter über mir, einen permanenten Strom von herabrieselndem Geröll auslösend. Ich wählte einen Einstieg ein paar Meter zu
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