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Corvidæ

Corvidæ

Titel: Corvidæ Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simone Keil
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spüren. Als sich meine Augen an die Dunkelheit gewöh nt hatten, fiel mein Blick als E rstes auf einen halb verwesten Vogelkörper. Ich machte einen Schritt rückwärts und würgte.
    Pan legte seinen Arm um meine Schulter. „Lass uns gehen“, sagte er. „Der Doktor wird eine Weile beschäftigt sein, aber was, wenn sie zurück kommt?“
    „Nein. Mach das Licht an.“
    Pan schnaufte, entzündete aber ein Gaslicht . In einer Kettenreaktion entflammten die anderen Lampen, die rund um das Zimmer an den Wänden angebracht waren.
    Käfige. Und Raben. Viele davon dem Tod näher als dem Leben . Sie starrten mit ihren schwarzen Augen, aus denen fast jeder Lebensfunke gewichen war. Ich wischte mir die Tränen aus den Augen und lief, um die Käfigtüren zu öffnen. Aber da waren keine Öffnungen und die Käfige waren im Boden eingelassen, unmöglich sie mitzunehmen. Ein erbärmlich schwaches Krächzen ließ mich herumfahren. Ich ging in die Hocke, steckte einen Finger durch die Gitterstäbe und streichelte den Rabenkopf, aus dessen Seiten grüne und gelbe Kabel ragten. In der hinteren Ecke des Käfigs hockte noc h ein Vogel. Sein Gefieder war b lutverkrustet, seine Augen geschlossen. Er bewegte sich vorsichtig, gab ein leises Röcheln von sich und sah mich an. Ich schrie auf und fiel rückwärts gegen einige Karton s . Es polterte und schepperte. Ich beachtete den Lärm nicht und kroch zurück zum Käfig. Die Augen blickten leer, waren aber noch vom gleichen hellen, fast farblosen Blau, das ich so gut kannte.
    „Was haben sie euch nur angetan?“ Ich spürte Pans Hände auf meinen Schultern und legte die Wange an seine kühle Haut. „Pan, wir müssen sie befreien. Wer kann die Käfige öffnen?“
    „Der Doktor, nehme ich an. Vielleicht auch nur der Vater selbst.“
    „Rokan, Jacques“, ich beugte mich dicht an die Gitterstäbe, „ich werde euch da raus holen, das verspreche ich! Könnt ihr mit mir reden? Könnt ihr mir sagen, wer in der Lage ist, die Käfige zu öffnen?“
    Rokan schüttelte den Kopf und krächzte. Dann gab er Geräusche von sich, die wie Ticken klangen. Ticken? „Ist das eine Uhr? Oh mein Gott, der Uhrmacher? Der Uhrmacher hat euch dort hinein gesteckt?“
    Rokan krächzte laut und wütend und hackte mit dem Schnabel nach dem Gitter, bekam eine meiner Haarsträhnen zu packen und riss daran. „Rokan, nicht.“ Ich versuchte mich zu befreien, doch er hatte sich fest gebissen und zerrte solange, bis er mir die Strähne ausgerissen hatte. Dann spuckte er die Haare auf den schmutzigen Käfigboden u nd legte sich schwer atmend daneben.
    „Was sollte denn … Pan? Warum bezahlt man den Eintritt mit Haaren? Was machen sie damit?“

Kapitel 24

    D er Doktor atmete ein und aus und legte die Hand auf die Türklinke; leckte eine Schweißperle von der Oberlippe, zog die Hand zurück, strich sich die Haare aus der Stirn und betätig te den Türklopfer. Wartete, eins , zwei, drei Sekunden und trat ein.
    Wie immer war es düster in der Kammer des Vaters, die einzige Beleuchtung bestand aus einer Lavalampe. Das träge Licht bewegte die Szenen auf den Bildern, die die gesamten Wände bedeckten. Und wie immer erklang leise Musik aus der Spieluhr auf der Kommode.
    In der Mitte des Raumes die Steuerzentrale. Datenverarbeitungsanlagen, Rechenmaschinen, Tasten, Regler . Nach weiteren drei Sekunden flackerte einer der Bildschirm e auf. „Ich wäre glücklich und zufrieden, wenn Sie ein wenig mehr auf Pünktlichkeit bedacht wären, Doktor.“
    „Ich bin der Lösung näher gekommen. Ich … Wir stehen kurz vor dem Durchbruch. Wenn ich noch die letzte Unbekannte …“
    „Das höre ich nun schon … Wie lange? Es kommt mir vor, als wären zwölf Menschenleben verstrichen. Und dabei ist es doch nur eines, nach dem ich verlange. Ist das zu viel verlangt?“ Die leise Stimme wurde zu einem kaum hörbaren Flüstern. „Doktor?“
    Der Doktor faltete die Hände und senkte den Blick. Wie immer machten ihr diese gesichtslosen Lippen Angst. „Nein“, antwortete sie. „Nein, das ist nicht zu viel verlangt, Vater. Wenn ich nur noch einige Versuchsexemplare bekommen könnte, dann …“
    „Was dann? Sie löchern die Hirne dieser Kreaturen, verkabeln ihre Nerven. Mit welchen Resultaten?“
    „Ich bewege mich auf völlig unbekanntem Terrain. Niemand zuvor hat Forschungen in diese Richtung …“
    „ Schweigen Sie!“
    Ein Mechanismus wurde in Gang gesetzt. Das Brummen eines Aggregats übertönte das Rauschen, das aus den

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