Corvidæ
Kessel, der Vater wird keinen weiteren Zwischenfall tolerieren !“
Das Mädchen rieb sich den Ellbogen und nickte, räumte die Leiter zur Seite.
Rot kam auf mich zu und ich erhob mich. „Nun, Frau Catrin“, sagte er. „Ich kann hier nichts mehr tun, also bin i ch frei, um unser Gespräch fortzu setzen. Lassen Sie uns dazu in meine Werkstatt gehen, ich habe einige bemerkenswerte Stücke, die ich Ihnen mit Vergnügen zeigen möchte.“ Er trat in einen Spind und hielt die Tür für mich offen.
Rokan schnaufte und ich legte meine Hand auf seine Schulter. „Bleib du hier, rede mit dem Mädchen“, flüsterte ich und deutete mit dem Kinn auf Brig. „Ich glaube der Uhrmacher weiß einiges, was für uns wichtig sein könnte. Wir stecken fest und sollten uns trennen, so können wir vielleicht mehr herausfinden.“
„Ich halte das für keine gute Idee, Cat. Was, wenn er dich nicht mehr gehen lässt?“
„Er hatte schon die Möglichkeit, also warum sollte er jetzt …“
„Frau Catrin, bitte, die Uhren ticken und ich bekomme meine Zeit nicht geschenkt.“
Rokan nickte. „Ich werde dich suchen“, sagte er, „wenn du nicht zurück kommst.
Ich drückte seine Hand. „Es wird mir schon nichts passieren.“
Dann stieg ich zu Rot in den engen Spind und drückte mich in die Ecke, um ihn nicht zu berühren.
„Ah, ich bin erfreut“, sagte er und lächelte.
Ich wandte den Blick von seinen fauligen Zähnen ab und versuchte nicht zu tief zu atmen. Mit einem Ruck setzte sich der Aufzug in Bewegung und ich hoffte, dass ich recht behielt .
Kapitel 26
D as Ticken schien dieses Mal noch eindringlicher zu sein, als bei meinem ersten Besuch in der Werkstatt des Uhrmachers. Es kroch meinen Nacken hinauf, kitzelte an meinen Haarwurzeln , rauschte in meinen Ohren . Ich blieb an der Tür stehen und sah zu, wie Rot die Vitrinen abschritt, als überprüfe er, ob noch alle Exemplare an ihrem Platz liegen. Gelegentlich blieb er stehen, hauchte über das Gehäuse einer Taschenuhr und wischte es mit seinem Ärmel ab.
„Ah“, sagte er nach einer Weile und ich schüttelte mich, um das Ticken zu vertreiben, das mich einhüllte wie eine Staubwolke. Ich ging zu ihm. Er hielt eine silberne Taschenuhr in der Hand, in deren Deckel filigrane Vögel graviert waren. Er ließ ihn aufschnappen und seufzte.
„Sehen Sie nur, wie präzise und gewissenhaft sie ihren Dienst verrichtet“, flüsterte er. „Oh, wie wundervoll!“
„Ein wirklich schönes Stück“, sagte ich und beobachtete wie die Zeiger einen Sekundenbruchteil lang stockten. Dann setzte der Sekundenzeiger seinen Weg fort und der Minutenzeiger begann rückwärts zu gehen. Immer schneller und schneller. Nach einem weiteren Stocken hüpfte er im Uhrzeigersinn vorwärts, übersprang eine halbe Stunde, wackelte unschlüssig zwischen der sechs und der sieben hin und her und lief weiter, als wäre nichts geschehen.
„Ihre Zahnräder sind aus purem Gold gefertigt. Sie ist eine meiner liebsten und ältesten Freundinnen.“ Rot lächelte mich an, fuhr mit der Zunge über seine Zähne, wackelte an seinem Schneidezahn, griff sich in den Mund und zog ihn flott heraus; betrachtete ihn einen Moment und schnippte ihn auf den Boden. „ Die Uhren begleiten uns durch die Jahre“, sagte er. „Sie sind treu und verlässlich, wenn man ebenso zu ihnen ist, doch auch sie können nur anzeigen, nicht ändern.“
Er fuhr sich durch die Haare und einige Strähnen lösten sich dabei. Ich konnte schon seine Kopfhaut durchschimmern sehen. Auch schien mir seine Kleidung noch schäbiger, noch erbärmlicher zu sein, als vor Kurzem. Geradeso, als verfiele er vor meinen Augen.
Der Boden begann zu vibrieren, die Maschinen starteten.
„Ah, wunderbar, sie arbeiten wieder. Könnte es etwas Unerträglicheres geben, als Stillstand?“ Er sah mich durchdringend an. „Die Zeiger müssen sich weiter drehen, die Maschinen müssen laufen. Der Vater hat hart gearbeitet, all die Jahre. Doch er ist an seine Grenzen gestoßen.“ Der letzte Satz war nur noch ein Hauchen, ich konnte die Worte mehr erahnen, als hören.
„Woran arbeitet der Vater?“, fragte ich. „Was genau tut er hier auf diesem Schiff?“
„Oh, er wartet. Er wartet und hofft und hält die Maschinen in Gang. Aber nun ist der Tag gekommen, da seine Hartnäckigkeit Früchte tragen wird. Nun sind Sie ja angekommen. Endlich. In letzter Minute könnte man meinen.“ Er fuhr sich wieder durch die Haare und betrachtete die fettigen Strähnen
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