Cosm
sich aus, als sie der Beweisführung nach zwei Zeilen nicht mehr folgen konnte. Max nahm Himmels Herausforderung an und hielt in einer Woche an fünf verschiedenen Orten im Land Vorträge, um seinen Standpunkt zu verteidigen. Akademischer Grabenkrieg.
Alicias Kollegen von der Experimentalphysik ließen nicht lange auf sich warten. Frank Lutricia von CERN in Genf warf ihr ›offensichtlich inkorrekte‹ Messungen vor, mit der Begründung, die Ergebnisse seien viel zu unglaublich, um richtig sein zu können. Innerlich schäumte sie, aber sie ließ sich zu keiner Reaktion herbei.
Der Vizekanzler und dann der Kanzler selbst beschworen sie, den Medien ›mit Freundlichkeit‹ zu begegnen. Auch Bernie Ross meinte, eine Geste des guten Willens könne nicht schaden. Er wollte bis zur gerichtlichen Klärung noch etwas Zeit gewinnen.
»Die schlechte Nachricht lautet, daß Brads Eltern eine Klage wegen fahrlässiger Tötung angestrengt haben«, eröffnete er ihr eines Nachmittags bei einer Tasse Kaffee. Sie saßen im ›Phoenix Grill‹, ihrem Lieblingslokalauf dem Campus. Hier mußte sie wenigstens nicht befürchten, von Fremden erkannt zu werden.
»Nicht unberechtigt«, räumte sie ein.
»Natürlich nicht. Aber die UCI wird Sie nicht im Regen stehen lassen.«
»Wie haben Sie das hingekriegt?«
Er grinste. »Zauberei.«
»Das heißt, ich muß die Presse mit Samthandschuhen anfassen.«
»Sagen wir lieber, es lohnt sich nicht, mit dem Kopf durch die Wand zu wollen.«
Sie mußte ihm recht geben, obwohl ihr das Bild nicht gefiel. Also erklärte sie sich bereit, den großen Zeitungen die üblichen Interviews zu geben und auch im Fernsehen aufzutreten, vorausgesetzt, man begnügte sich damit, Brads Tod nur kurz zu erwähnen. Max gegenüber sprach sie von einer ›sehr aufschlußreichen‹ Erfahrung.
»Uns interessieren vor allem die menschlichen Aspekte, nicht nur die Fakten«, stellte der Mann von der Los Angeles Times gleich von vornherein klar. Und was er von Fakten hielt, verriet sein Gesichtsausdruck nur allzu deutlich. Immerhin hatte die UCI die Reporter gruppenweise eingeladen, so daß Alicia sich nicht zu wiederholen brauchte, bis sie schwarz wurde. Auch Fernsehinterviews ›saß sie ab‹. In einigen Sendungen war zu ihrer Erleichterung auch Max dabei, und dann kam es ihr oft so vor, als rede sie trotz der vielen anderen Leute im Raum nur mit ihm. Beim großen PBS-Interview in der Sendung Nova nahm sie sich vor, eine Stunde durchzuhalten. Irgendwann flüsterte sie Max zu: »Nimmt das denn nie ein Ende?« Er warf einen vielsagenden Blick auf seine Uhr. Sie hatten noch zweiundvierzig Minuten vor sich.
Noch schlimmer waren die Reporter, die unangemeldet auftauchten. Eine Frau verlangte: »Fangen Sie einfach mit den fünf großen W’s an, Sie wissen schon, Wer,Warum, Was … äh, Welches … na, Sie wissen schon.« Bei diesem Interview stellte Alicia sich irgendwann die Frage, wann es sich eigentlich eingebürgert hatte, auf ›Danke‹ mit ›Kein Problem‹ zu antworten. Je länger sie den Journalisten ausgesetzt war, desto mehr verlor sie jegliches Vertrauen in ihre Berichterstattung; es störte offenbar niemanden, wenn selbst die einfachsten Sachverhalte falsch dargestellt wurden. Ein angeblicher Medienstar, von dem sie noch nie gehört hatte, fragte in scharfem Ton und mit finsterer Miene, wie es ihr gelungen sei, den Cosm aus Brookhaven hinauszuschmuggeln. Der Mann hatte eine spitze Nase und einen Schmollmund, die zusammen wie ein fleischiges Ausrufungszeichen wirkten. Er war Herr über mehrere TV-Minicams, die sie mit der Apathie eines Zyklopenauges auch dann noch unverwandt anstarrten, als sie sich die Nase putzte – oder vielleicht gerade deshalb. Alicia sah sich die Endfassung dieses Verhörs nicht an, hörte aber genug darüber, um einen empörten Beschwerdebrief zu schreiben – der nie beantwortet wurde.
Doch das waren nur lästige Äußerlichkeiten. Schwerwiegender waren die im System begründeten Probleme. Alicia betonte die vielen Unbekannten; die Medien wollten präzise Antworten auf riesige Fragenkomplexe, am liebsten in einem einzigen, kurzen Satz. Alicia verwies mit Nachdruck auf ihre Methode der progressiven Fragestellung, um zu zeigen, daß alle Antworten nur vorläufig seien und noch bestätigt werden müßten; die Reporter liebten rasante Abenteuerstories und aufregende Ratespiele und natürlich aufsehenerregende Bilder in bunten Bonbonfarben.
Die ersten Reaktionen waren für Alicia wie
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