Cosm
Radarsignale. Sie zeigten ihr, was sich die zahllosen Zuschauer von außerhalb für ein Bild von ihrer Welt machten. Für ein Publikum, dessen Konzentration gerade für die Dauer eines Werbespots ausreichte, gab es nur zwei Arten von wissenschaftlichen Ergebnissen:leckere Konsumhäppchen, serviert vom Aushilfskellner Technik, oder imposante Spektakel wie die Schauspiele der Astronomie. Die dunkle Seite wurde meist ignoriert, es sei denn, sie lieferte schockierende Bilder wie etwa von künstlichen Rieseninsekten mit ekelhaften Verhaltensweisen. Im Grunde versprachen die Naturwissenschaften, eine Welt zu zeigen, in die kein Mensch jemals eingegriffen hatte. Doch in den Weiten der Zeit und des Raumes konnte sich die Menschheit so erschreckend leicht verlieren, daß die braven Bürger sich eine solche Welt lieber erst gar nicht vorstellen wollten.
Umfragen hatten ergeben, daß die Hälfte der amerikanischen Bevölkerung überzeugt war, die Astrologie beruhe auf wissenschaftlichen Erkenntnissen. Der Glaube an Hellseher, an Wunderheiler und an so banale, pseudowissenschaftliche Vorstellungen wie Energieauren, mystische Pyramiden, UFOs und übersinnliche Wahrnehmung war weit verbreitet. Und der Cosm wurde offenbar in die gleiche Schublade gesteckt.
Alicia stand an der Kasse des ›Glenneyre Market‹, als ihr die Schlagzeile des National Enquirer ins Auge fiel:
Eine Frau erschafft Galaxien
Ist die glänzende Bowling-Kugel ein Universum?
Sie riß sämtliche Exemplare aus dem Ständer und stopfte sie hinter ein anderes Revolverblatt. Zwei Tage später schickte ihr jemand anonym mit der Hauspost ein noch übleres Machwerk zu:
Diebin oder Göttin?
Ist die ›brillante, aber arbeitsbesessene‹ Wissenschaftlerin eine Schwindlerin?
»Hmm«, sagte Max. Er fand die ganze Sache eher komisch, während sie fast aus der Haut fuhr. »Wieso eigentlich nicht beides?«
Wenn die Niedergeschlagenheit gar zu groß wurde, unternahm Alicia zusammen mit Max lange Spaziergänge an den Stränden nördlich von Laguna. Die Küste wurde zunehmend von Wohnsiedlungen aufgefressen, die sich wie ein tödlicher Pilz aus dem Landesinneren vorarbeiteten. Alicia war noch nicht lange an der UCI, aber sie fand es bedrückend, wie die ohnehin umlagerten Sandstreifen immer schmaler wurden.
Wie konnte uns das alles verlorengehen? überlegte sie. Zentimeterweise, war die Antwort. Die Häusermakler, die Einwandererscharen, ein unerschöpfliches Angebot an frischer Luft und Sonnenschein – alles hatte sich verschworen, um immer noch einen Wohnblock, eine Straße, einen Supermarkt dazwischenzuschieben und unzähligen Menschen eine weitere dünne Schicht ihrer Lebensqualität abzukratzen. Das Universum expandierte ständig weiter, aber die Menschheit wuchs offenbar noch schneller, sie war nicht aufzuhalten, die Massen würden auch noch den letzten Winkel mit ungestümem Leben erfüllen.
Alicia war schlagartig zu einer bekannte Persönlichkeit geworden. Bald wurde sie sogar von wildfremden Menschen aus anderen Fachbereichen zu Empfängen, in die Oper, zu Dinnerparties und dergleichen eingeladen. Nachdem sie an einigen dieser Veranstaltungen teilgenommen hatte – manchmal war sie gleich vom Labor aus hingegangen, ohne sich umzuziehen – war ihr klar, warum sie nie im Dunstkreis der Universität Anschluß gesucht hatte, sondern sich lieber an Leute wie Jill hielt. Akademiker redeten oft und gern über politische Themen, von denen sie nicht mehr verstanden als jeder Laie. Hinter der augenzwinkernden Verachtung fürWirtschaftsführer und Staatsmänner war Neid zu spüren. Viele Professoren waren in früheren Lebensabschnitten immer die Besten gewesen: sie hatten in der Schule die Abschlußreden gehalten, hatten sich für Stipendien qualifiziert und waren in angesehene, wissenschaftliche Organisationen aufgenommen worden. Nun mußten sie zusehen, wie die wirkliche Macht an Menschen ging, die bisher für sie nicht existiert hatten, wie die Welt bestenfalls von Zweierschülern beherrscht wurde. Das färbte ihre politischen Ansichten, hinter denen, kaum verhohlen, ein starker Wille zur Macht lauerte – zumindest wollte man die Welt wieder in Ordnung bringen und glaubte, das sei mit ein paar kräftigen Rippenstößen durch die richtigen (nämlich die eigenen) Fäuste getan. Die Äußerung eines politischen Kommentators bestätigte Alicias Erfahrungen: für die meisten normalen Bürger, die sie kannte, war Washington D.C. ein
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