Cosm
Marmorkaminen brannte kein Holz, sondern keimfreies Gas. Einige Möbelstücke bemühten sich redlich, die Leere zu füllen, aber selbst die obligatorische, überdimensionierte Wohnlandschaft hatte gegen diese asketische, automatisierte Gleichheitsgeometrie keine Chance. Die Kleiderordnung verlangte ›sportliche Eleganz‹, wozu offenbar zerknitterte ausgewaschene Jeans mit Schlag und Knopfleiste gehörten, die in Verbindung mit schwarzen Lederjacken wie nostalgischer Kitsch wirkten. Jill und Alicia stürzten sich in die Menge, die sich über das ganze Erdgeschoß ausgebreitet hatte, begegneten schon in der ersten halben Stunde Hunderten von Angehörigen des ›Stammes der Abschätzenden Blicke‹, wie Jill es nannte, und sahen Geschmacksverirrungen in Hülle und Fülle: ein Mustermix aus Blumen und Streifen, Plastikohrringen in Avocadogrün mit Pink, eine durchsichtige Bluse zu einer karierten Hose, sogar eine nackte Taille mit einem Diamanten im Nabel unter einer Parka-Weste.
Dank geschickter Mund-zu-Mund-Propaganda hatten sich in dieser Singles-Arena mehr Schwarze eingefunden als sonst. Alicia war heilfroh, daß niemand sie vom Fernsehen kannte. Nachdem sie eine Weile herumgeschlendert war, fiel ihr in der unermüdlich schnatternden Menge ein großer, schlaksiger Mann auf. Jill hatte bald herausgefunden, daß er Jerome hieß und Abteilungsleiter in einer Marketingfirma war. Alicia fand, er segle mit der gleichen, teilnahmslosen Würde durch den Saal wie der Präsident. Gutaussehende Schwarze waren normalerweise einfach deshalb im Nachteil, weilsie schwarz waren, aber in der Sex-Lotterie hatten sie auch zwei Pluspunkte: die Aura des schwarzen Prinzen und die Tatsache, daß die Auswahl an standesgemäßen, schwarzen Männern mehr als mager war.
Alicia ließ ihm Zeit, nippte an ihrem Glas, flanierte durch den Raum, holte sich noch einen Drink und unterhielt sich mit gespielter Begeisterung über Lokalpolitik. All die guten Vorsätze nach mitternächtlichen Gewissenserforschungen fielen ihr wieder ein: Du darfst dich nicht in deinem Kopf einsperren, ermahnte sie sich. Lebe nicht für den Augenblick, sondern in den Augenblick hinein. Und jetzt Kopf hoch und lächeln.
Dann begann die Musik zu spielen, und Jill drängte: »Du gehst als erste.«
»Ich soll ihn zum Tanzen auffordern?« Blankes Entsetzen.
»Hör mal, hier laufen sehr viel schlimmere Typen herum. Einer hat mir eben einen Witz erzählt: ›Warum ist Mononukleose das Gegenteil von Herpes? Weil man mono wird, wenn man sich einen Kuß holt.‹«
»Selten blöd.«
»Und er dachte noch, ich bin begeistert.«
»Du hast mich überredet.« Sie ging auf den ach so ebenholzschwarzen Jerome zu und krächzte ein mattes ›Hallo‹. Er lächelte freundlich, dann tanzten sie, und alles ließ sich gut an. Auch als sich der Raum ein wenig um sie drehte, blieb ihr Lächeln da, wo es hingehörte.
»Haben Sie schon von dem neuen Schwarzenrestaurant gehört?« fragte Jerome.
»Äh … nein …«
»Es nennt sich Chez Was.«
Alicia belohnte diesen Geistesblitz mit einem unterdrückten Lachanfall. Jill winkte ihr zu und streckte den Daumen in die Höhe, und Alicia fragte sich – wieder einmal ein klassisches Symptom ihrer Menschenscheu – was sie hier eigentlich zu suchen hatte. Jerome hakte, beginnend mit der unvermeidlichen Karrierestory, dieüblichen Themen ab, ohne sie nach ihrem Beruf zu fragen. Nach der ersten Stunde lief alles ganz wunderbar, und wenn sie sich nicht bald hinsetzte, würde sich der Raum noch schneller drehen. Als er endlich doch wissen wollte, »was du denn so treibst, Mädchen«, da sagte sie, sie arbeite für den Staat, und im Grunde stimmte das ja auch.
Einige Zeit später – sie hatte sich in der Damentoilette für den nächsten Tanz frischgemacht – flüsterte er: »Ist es nicht immer noch die gute, alte Liebe, die die Welt in Schwung hält, Honey?«
»Eigentlich eher die Trägheit.«
Zurück an den Tisch, wo Jill fünf Leute mit der Beschreibung einer Nacht im Rubber Gotham unterhielt, einem neuen Club, der derzeit ziemlich in war, sich bei der Eröffnung mit Stars aus B-Filmen geschmückt hatte, seine Gäste mit Chardonnay und aufgebügelten Hähnchenflügeln verwöhnte (ausgerechnet das, was sie als Kind nie hatte essen wollen) und von Frauen frequentiert wurde, die auf hohen Absätzen herumstaksten (›sexy Abendkolumnen‹, wie man das bei Frederick’s nannte) – wieder ein Beweis, daß gute Tips auch mit viel Geld nicht zu
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