Cosm
umfängt und verschlingt mich das Universum, als wäre ich ein Atom; mit meinem Denken erfasse ich die Welt.«
- BLAISE PASCAL
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1 Eine verschwommene Erkenntnis: ein Katzenjammer hat Ähnlichkeit mit der japanischen Sprache: kein Artikel, kein ›der, die, das‹, kein ›ein‹. Nur Kopfschmerzen, schmerzen, schmerzen. In der Ferne Wellenrauschen, Verkehrslärm. Im Schlafzimmer liegen Kleidungsstücke herum. Wie kommt sie hierher? Keine Erinnerung. Aufstehen, stöhnen. Hinausgehen, Füße wie aus Holz, Wohnzimmer gestreift wie ein Tiger, Jalousien geschlossen. Blick auf die Uhr. Vormittag fast vorbei. Wieso? Kopf kratzen; tut weh. Eis, ja. Nein, zu mühsam; lieber wieder hinlegen. Zimmer beruhigt sich. Decke riesige Ebene. Bewegung? Anschwellen? Geometrie des Universums oder ihres Kopfes?
Nach einer Weile gelang es Alicia halbwegs, ihre fünf Sinne zu koordinieren. Der Schmerz war zwar noch da, aber er hämmerte nicht mehr wie wild an die Haustür. Wichtigste Frage: Muß ich mich übergeben? Nein. Will ich es? Ja. Noch etwas später waren die Antworten vertauscht, dann hatte sie wenigstens das hinter sich und fühlte sich ein wenig besser.
Kaffeeduft? Geräusche? Die Haustür ging auf. Erschrecken, Panik, da war doch vergangene Nacht …
Dann stand Max in der Tür. »Ich war nur Gebäck holen.«
Die Schrecken der vergangenen Nacht fielen ihr wieder ein. »O Gott.«
»Ich habe ihn rausgeworfen.«
»Sie waren …?«
»Sie haben mir Ihren Schlüssel gegeben, wissen Sie noch? Ich sollte hier pennen, falls es an der UCI spät würde.«
»Ach ja. Jerome …«
»Der Mann war schwer zu überzeugen.«
»Auf der Party … war er noch ganz okay.«
»Aber an seiner Technik muß er wohl noch arbeiten.«
»Ich … schäme mich so.«
»Es war nicht ihre Schuld. Der Kerl ist zu weit gegangen. Sie haben nur einen Brummschädel, das ist alles.«
Er brachte ihr eine Tasse Kaffee, und sie hielt sich lange daran fest, dann ging sie unter die Dusche, zog sich an und versuchte, ihr Gesicht einigermaßen auf Vordermann zu bringen. Mit den Tränensäcken unter den Augen sah sie aus wie ein Waschbär. Er hatte inzwischen Rühreier gemacht und die Blätterteighörnchen aufgebacken. Sie sagte nicht viel. Er fragte nicht, warum sie sich betrunken hatte, und sie fragte nicht, warum er ihr zu Hilfe geeilt war, damit waren sie zwar keineswegs quitt, aber die Spannung löste sich ein wenig. Max plusterte sich nicht auf, und sie vermißte auch die kleinen Anzeichen von Mißbilligung, die jeder andere – Jill oder Dad etwa – gezeigt hätte. Nach ein paar belanglosen Sätzen versickerte das Gespräch, und dann entstand ein Teich der Stille, der immer größer wurde und ganze Minuten verschlang, ein Abgrund des Schweigens. Alicia hatte nicht das Bedürfnis, ihn mit Worten zu füllen, sie schwelgte darin wie in einem warmen Bad ungestörter Ruhe. Keiner von beiden bewegte sich. Wie losgelöst vertickte die Zeit. Sie saßen wie in einer unsichtbaren Kugel, und irgendwann beugte Max sich ganz selbstverständlich vor und küßte sie.
Alles hatte auf diesen ersten Kuß zugeführt, und alles, was nicht dazugehörte, floß einfach ab. Ein Kuß wie auf dem Meeresgrund, die Vorbereitung auf den Kuß aller Küsse. Alicia dachte: Das werde ich nie vergessen, und dann dachte sie lange Zeit an gar nichts mehr.
Finger in wirrem Haar, Düfte in der Luft, Härte, die sich fordernd an sie drängte.
Sehr viel später schaute er zur Decke empor und sagte: »Das war das erste Mal, daß ein Frühstück wie ein Aphrodisiakum gewirkt hat.«
»In meinem Fall eher wie ein Anglodisiakum.«
»Okay, dann eben für mich wie ein A-F-R-O-disiakum.«
»Mannomann, ich hasse den Ausdruck Afro-Amerikaner.«
»Ich verspreche, ihn niemals zu verwenden.«
»Hoffentlich sind wir uns nicht zu ähnlich. Zwei Physiker …«
»Verlangst du jetzt etwa ein Gesetz gegen Rassenvermischung?«
»Ich dachte immer, ich sollte mir jemanden suchen, der … äh … normaler ist. Keinen Wissenschaftler. Ich bin eher yang , da wäre ein bißchen yin …«
»Und zweimal yang geht nicht zusammen?«
Sie knuffte ihn und kicherte. »Ich meine es ernst . Meine Therapeutin …«
Aufstöhnend vergrub er das Gesicht zwischen ihren Brüsten.
»Nun ja, sie meint, die Menschen könnten sich nicht wirklich ändern, jedenfalls nicht grundlegend, deshalb …«
»Und wozu geht man dann zu einem Therapeuten?«
»Aber man sollte doch seine emotionale Disposition kennen, sollte
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