Cosm
Rhetorik und zwingenden Argumenten zu bemänteln.
»Ich war ziemlich außer mir, weil mein Experiment gescheitert war. Wir haben einfach alles zusammengepackt und nach Hause gekarrt. Erst als ich mit meinen Studenten die Kugel genauer untersuchte, wurde unsklar, wie ungewöhnlich sie ist.« Das war soweit die reine Wahrheit.
»Hmmm.« Wieder ein prüfender Blick aus schmalen Augen, aber die Intensität hatte etwas nachgelassen. »Ich konnte nicht umhin festzustellen, daß Sie nicht einmal Ihren Kollegen von diesem Objekt erzählt hatten.«
Ich konnte einfach nicht umhin, verstehst du? Man hat mich gezwungen, dieses Sondergremium einzuberufen … »Wozu denn auch?« Nein, das war zu schroff. Vielleicht ein wenig Selbstkritik? »Ich … ich habe mich in letzter Zeit im Fachbereich ziemlich rar gemacht. Es kostet viel Zeit, meine Studenten für die Reparatur unseres Detektors zu begeistern.«
»Ich hatte erst heute morgen wieder einen Anruf vom stellvertretenden Direktor von Brookhaven …«
»Brookhaven hat die Kugel nicht gemacht. Sie befand sich unter den Trümmern meines Detektors. Warum soll sie also denen gehören?«
Ms. Lattimer blinzelte überrascht. Ein Dekan verwendete normalerweise seine gesamte Energie darauf, die Gelüste seiner Untergebenen in die richtigen Bahnen zu lenken und Gelder zu beschaffen, vom schweren Wein der Forschungsberichte pflegte er nicht zu kosten; vielleicht hatte Ms. Lattimer vergessen, daß auch Wissenschaftler leidenschaftlicher Gefühle fähig waren? Sie blinzelte noch einmal, Alicias plötzliches Aufbegehren schien sie erschreckt zu haben.
»In solchen Fällen darf der Besitzinstinkt keine Rolle spielen«, sagte sie vorsichtig, in einem Ton, der im Rahmen einer Spendenaktion, vielleicht im Anschluß an eine Rede zum Thema ›Wohin geht die Wissenschaft?‹ wahrscheinlich gut angekommen wäre.
Alicia sah keinen Anlaß, sich auf eine Grundsatzdiskussion einzulassen, und so fragte sie geradeheraus: »Was werden Sie jetzt tun?«
Wieder legte Dekan Lattimer die Fingerspitzen aneinander und schaute auf Alicia herab. Ihr Mund wurde zueinem schmalen Strich. Im schrägen Licht der Abendsonne, das den Raum jetzt bis in den letzten Winkel erhellte, traten die makellosen Backenknochen noch deutlicher hervor. »Ich werde mein inoffizielles Beratergremium beauftragen, Ihre Fortschritte weiter zu beobachten. Das Argument, das Objekt habe sich in Ihrem Detektor befunden, verdient wohl eine gewisse Berücksichtigung.«
»Ich bin Ihnen sehr dankbar.«
»Haben Sie an die Sicherheit gedacht?«
»Äh … ja. Bisher besteht kein Anlaß zur Besorgnis.«
»Gut. Ich gehe davon aus, daß mein Gremium Ihnen gestatten wird, das Objekt zu behalten und weiter zu studieren, allerdings unter der Bedingung, daß Sie Ihre Forschungsergebnisse zu gegebener Zeit mit anderen teilen«, sagte Dekan Lattimer in abschließendem Ton und nickte.
Mehr war vermutlich nicht herauszuholen, dachte Alicia; Dekan Lattimers Gremium war offenbar ein zahmes Hündchen, das alles tat, was sie wollte. Tief in Gedanken ging sie kurz darauf durch den kreisrunden Park zurück. Sie konnte die Einstellung der Gegenseite nicht so recht begreifen. Gewiß, sie hatte die Vorschriften sehr großzügig ausgelegt. Aber sie hatte – jedenfalls in ihren Augen – die Grenzen nicht überschritten, und nur darauf kam es an.
In der Grundschule hatten sie und ein paar Freunde sich einmal um irgendein Spielzeug gestritten. Was es war, hatte sie längst vergessen, in Erinnerung war ihr nur das Verfahren geblieben, mit dem der Streit entschieden werden sollte. Ein Junge hatte vorgeschlagen, jeder solle eine Zahl zwischen 0 und 100 nennen, und er würde sie mit einer Zahl vergleichen, die er sich vorher ausgedacht habe. Alicias beste Freundin wählte die 66, ein anderes Kind die 78. Doch als Alicia ganz selbstverständlich die 65 wählte, waren alle böse auf sie. »Du darfst nicht so nahe an meine Zahl herangehen!« beklagte sich die Freundin immer wieder. Dabei hatte Alicia nur einen möglichst großen Zahlenbereich abdecken wollen, um ihre Chancen zu maximieren. »Das ist nicht fair «, sagte jemand. Als der Junge seine Zahl verriet, es war die 88, betrachteten das offenbar alle als schallende Ohrfeige für Alicia, und auch das war ihr unbegreiflich gewesen.
Plötzlich spürte sie den brennenden Wunsch, schlank, wendig und selbstsicher zu sein. Sie zuckte die Achseln. Was wirklich zählte, was das große Rätsel, alles andere war nur
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