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Cosmopolis

Cosmopolis

Titel: Cosmopolis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Don DeLillo
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was würde passieren, wenn sie wüssten, dass der Kopf von Packer Capital in diesem Wagen sitzt?«
    Das sagte sie boshaft, mit leuchtenden Augen. Die Augen der Protestler loderten zwischen den rot-schwarzen Tüchern, die sie auf dem Kopf und über dem Gesicht trugen. Beneidete er sie? Die bruchsicheren Fenster wiesen Haarrisse auf, und vielleicht dachte er, er wäre auch gern da draußen, um zu zerfetzen, zertrümmern.
    »Sie arbeiten mit Ihnen, diese Leute. Sie handeln nach Ihren Bedingungen«, sagte sie. »Und wenn sie Sie umbringen, dann nur, weil Sie es mit Ihrer liebenswerten Geduld zulassen, um so der Idee, unter der wir alle leben, neuen Schwung zu geben.«
    »Welche Idee?«
    Das Schaukeln wurde schlimmer, und er sah ihr dabei zu, wie sie ihrem Glas von einer Seite zur anderen folgte, bevor sie einen Schluck trinken konnte.
    »Zerstörung«, sagte sie.
    Auf einem der Bildschirme sah er Gestalten eine vertikale Oberfläche herunterkommen. Er brauchte einen Moment, um zu begreifen, dass sie sich an der Fassade des Gebäudes direkt vor ihnen abseilten, dort, wo sich die Marktticker befanden.
    »Sie wissen, was Anarchisten immer geglaubt haben.«
    »Ja.«
    »Sagen Sie’s mir.«
    »Der Zerstörungsdrang ist ein kreativer Drang«, sagte er.
    »Das ist auch das Erkennungsmerkmal kapitalistischen Denkens. Durchgesetzte Zerstörung. Alte Industrien müssen brutal eliminiert werden. Neue Märkte müssen mit Gewalt behauptet werden. Alte Märkte müssen erneut ausgebeutet werden. Zerstört die Vergangenheit, erschafft die Zukunft.«
    Ihr Lächeln war vertraulich, wie immer, und ein kleiner Muskel zuckte in ihrem Mundwinkel. Sie neigte nicht dazu, Sympathie oder Abneigung zu zeigen. Er hatte geglaubt, sie sei zu beidem nicht fähig, fragte sich nun aber, ob das nicht ein Irrtum gewesen war.
    Sie sprayten das Auto jetzt mit Graffiti voll, machten Adagios auf ihren Skateboards. Auf der anderen Straßenseite versuchten die Männer, die an Tauen baumelten, Fenster einzutreten. Der Turm trug den Namen einer größeren Investmentbank, der Schriftzug war in bescheidener Größe unterhalb einer ausgebreiteten Weltkarte angebracht, und die Aktienkurse tanzten durch das verblassende Licht.
    Es gab viele Verhaftungen, Menschen aus vierzig Ländern, mit blutigen Köpfen, Skimasken in der Hand. Sie wollten ihre Masken nicht hergeben. Er sah, wie eine Frau ihre Maske abnahm, fluchend herunterriss, während ihr ein Bulle mit seinem Schlagstock in die Rippen stach, und sie schwang die Maske, klatschte sie mit einer Rückhand gegen seinen visierbestückten Helm, als sie den Bildausschnitt der Kamera verließen, und alle Bildschirme wackelten mit dem schwankenden Auto.
    Sein eigenes Bild sprang ihm ins Auge, live auf dem ovalen Bildschirm unter der SpyCam. Einige Sekunden vergingen. Er sah sich selbst erschrocken zurückweichen. Wieder verging Zeit. Er fühlte sich in der Schwebe, abwartend. Dann gab es eine Detonation, laut und tief, nah genug, um alle Information ringsum zu vernichten. Er wich erschrocken zurück. Wie alle. Der Satz gehörte zur Geste, der vertraute Ausdruck, eingebettet in die Bewegung von Kopf und Gliedern: Er wich erschrocken zurück. Der Satz hallte im Körper wider.
    Das Auto hörte auf zu schaukeln. Allgemeine Nachdenklichkeit war zu spüren. Sie alle waren da draußen jetzt auf einer zweiten Ebene des Einvernehmens miteinander verbunden.
    Die Bombe war direkt vor der Investmentbank gezündet worden. Er sah verschattetes Filmmaterial auf einem anderen Bildschirm, Gestalten, die in Digitalgeschwindigkeit einen Korridor entlangrannten, stotter-rannten, in Zehntelsekundenbildern. Das war Material von den Überwachungskameras im Turm. Die Protestler erstürmten das Gebäude, quollen durch den zertrümmerten Eingang hinein und übernahmen die Kontrolle in Fahrstühlen und Fluren.
    Der Kampf ging draußen weiter, die Polizei richtete Feuerwehrschläuche auf die brennenden Barrikaden, und die Protestler sangen erneut, belebt, von Furchtlosigkeit und moralischer Stärke beseelt.
    Aber mit seinem Auto schienen sie endlich fertig zu sein.
    Sie saßen einen Moment lang schweigend da.
    Er sagte: »Haben Sie das gesehen?«
    »Allerdings. Was war das?«
    Er sagte: »Ich sitze hier. Wir reden. Ich schaue auf den Bildschirm. Dann plötzlich.«
    »Weichen Sie erschrocken zurück.«
    »Ja.«
    »Dann der Knall.«
    »Ja.«
    »Ist so etwas eigentlich, fragt man sich, schon mal passiert?«
    »Ja. Ich hatte unsere Computersicherheit

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