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Cosmopolis

Cosmopolis

Titel: Cosmopolis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Don DeLillo
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brauchen eine neue Theorie der Zeit.«
    Das Auto bewegte sich voran, verdrängte einen Strom südwärts fahrenden Verkehrs, aber hielt kurz vor dem nächsten an, aufgehalten an dem Engpass, wo die Kreuzung Seventh Avenue und Broadway beginnt. Er hörte die Stimmen jetzt deutlicher, sie erschollen über den Verkehr hinweg, und er sah Menschen rennen, die Vorhut einer Menge, die auf sie zukam, und andere, perplex und verwirrt, die Bürgersteige liefen über. Eine sechs Meter hohe Styropor-Ratte wich den Taxis auf der Straße aus.
    Er streckte den Kopf aus seinem Schiebedach und beobachtete das. Was passierte da? Schwer zu sagen.
    Beide Avenues waren mittlerweile betroffen, Fahrzeuge blockiert und überall Menschen. Fußgänger flüchteten in die Querstraßen, weg von der vorrückenden Linie der Rennenden. Es war keine Linie, sondern eine Delle in der Menge. Es gab Rennende und andere, die zu rennen versuchten, Bewegungsfreiraum gewinnen wollten, an Körperknäueln vorbeiruderten.
    Er wollte verstehen, durch detaillierte Beobachtung das eine vom anderen trennen. Hupen und Sirenen erschollen. Die geballten Stimmen riefen über das Getöse der Menge hinweg. Das machte es nur noch schwerer, etwas zu sehen. Er schaute südwärts, ins Herz des Times Square. Er hörte Spiegelglas zerbrechen, in Platten aufs Pflaster fallen. Vor dem Nasdaq Center ein paar Blocks entfernt kam es zu einem vereinzelten Zwischenfall. Gestalten und Farben verschoben sich, Körper gerieten langsam in Schräglage. Sie schwärmten um den Eingang, und er stellte sich drinnen das reinste Pandämonium vor, Leute, die durch Galerien voller Information rasten. Sie würden in Kontrollräume einbrechen, die Videowand und den Logo-Ticker angreifen. Und direkt vor ihm, was? Leute auf der Verkehrsinsel, die verbilligte Theaterkarten kauften. Sie standen immer noch in der Schlange, die meisten von ihnen, und waren nicht willens, ihren Platz aufzugeben. Das einzige Phänomen weit und breit, das nicht abrupt und unruhig war.
    Die Stimmen hallten über Megafone, mit ähnlich konturierter, gesangsartiger Intonation wie die Schreie der jungen Männer beim Mittagessen. Die Styropor-Ratte wurde jetzt auf einer Trage, die vier oder fünf Leute in Nagetier-Spandex geschultert hatten, über den Bürgersteig transportiert, auf ihn zu.
    Er sah, dass Torval mit den zwei Bodyguards auf der Straße stand, alle drei wirbelten in verschiedenen Geschwindigkeiten um die eigene Achse, um die Umgebung zu scannen. Beeindruckend. Die Frau sah im Profil ägyptisch aus, Mittleres Königreich, sie beugte sich zu ihrer linken Brust hinab, um in das ansteckbare Telefon zu sprechen. Es wurde Zeit, das Wort Telefon aus dem Verkehr zu ziehen.
    Rennende tauchten auf beiden Seiten des Ticketstands auf, die meisten in Skimasken, einige verharrten, als sie das Auto sahen. Das Auto ließ sie verharren. Polizeifahrzeuge rasten und schleuderten fast in die Querstraßen hinein. Allmählich merkte er, dass er in die Situation verwickelt wurde. Ein Bus setzte Gestalten im Kampfanzug ab, die Gasmasken mit Rüssel trugen.
    Ein Fahrer stand rauchend neben seinem Taxi, Arme vor der Brust verschränkt, ein Südasiate, wartete geduldig in der Weltstadt, bis die Dinge wieder einen Sinn ergaben.
    Leute näherten sich dem Auto. Wer war das? Es waren Protestler, Anarchisten, wer auch immer, eine Art Straßentheater oder Anhänger der schieren Verwüstung. Das Auto war natürlich umzingelt, umschlossen vom Stillstand, Fahrzeuge auf drei Seiten und der Ticketstand auf der vierten. Eric sah, wie Torval einen Mann mit Ziegelstein anging und mit einem rechten Cross flachlegte.
    Er beschloss, das zu bewundern.
    Dann sah Torval zu ihm hoch. Ein Junge auf einem Skateboard rauschte vorbei und prallte von der Windschutzscheibe eines Streifenwagens ab. Es war klar, was sein Sicherheitschef von ihm erwartete. Die beiden Männer starrten einander finster an, ziemlich lange. Dann tauchte Eric in das Innere des Wagens ab und schloss das Schiebedach.
    Im Fernsehen ergab es mehr Sinn. Er schenkte zwei Wodka ein, und sie schauten es sich an, glaubten, was sie sahen. Allerdings, das war Protest, die warfen die Fensterscheiben von Geschäften ein, die zu Ladenketten gehörten, setzten Bataillone von Ratten in Restaurants und Hotelhallen aus.
    Maskierte Gestalten zogen auf Autodächern durch die Gegend und schleuderten Rauchbomben auf die Polizisten. Er konnte den Gesang jetzt deutlicher hören, der durch die Antennenschüsseln auf

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