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Cosmopolis

Cosmopolis

Titel: Cosmopolis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Don DeLillo
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erschlaffenden Körpern und runden, tumben Gesichtern.
    Als eine plötzliche Bö aufkam, wurden die Flammen gedämpfter, flacher, aber der Mann verharrte steif, das Gesicht unverdeckt, und sie sahen, wie seine Brille in seine Augen hineinschmolz.
    Allmählich war überall Stöhnen zu hören. Ein Mann stand wimmernd da. Zwei Frauen saßen wimmernd auf dem Rinnsteinrand. Sie schlangen die Arme um Kopf und Gesicht. Wieder wollte eine Frau das Feuer ersticken, kam aber nur so nah an den Mann heran, dass sie mit ihrer Jacke in seine Richtung fuchteln konnte, vorsichtig, um ihn nicht zu treffen. Er schaukelte leicht hin und her, und sein Kopf brannte unabhängig vom Körper. In den Flammen war eine Lücke.
    Sein Hemd war erfasst, es ging in die Luft ein, in Form qualmender Fetzen, und die Haut des Mannes wurde dunkel und blasig, und das roch man jetzt auch, eine Mischung aus verbranntem Fleisch und Benzin.
    Ein Benzinkanister stand aufrecht neben einem Knie, und er brannte auch, hatte Feuer gefangen, als sich der Mann in Brand gesetzt hatte. Da waren nirgendwo singende Mönche in ockerfarbenen Gewändern oder Nonnen in scheckigem Grau. So wie es aussah, hatte er das ganz allein gemacht.
    Er war jung oder auch nicht. Er hatte sein Urteil aus hellsichtiger Überzeugung gefällt. Man wollte gern, dass er jung und von Überzeugung angetrieben war. Eric glaubte, dass sogar die Polizei das wollte. Niemand wollte einen gestörten Mann. Der würde ihre Aktion entehren, ihr Risiko, all die gemeinsam geleistete Arbeit. Er war kein Durchreisender in einem engen Raum, der diesen oder jenen Anfall erleidet und Stimmen im Kopf hört.
    Eric wollte sich die Schmerzen des Mannes vorstellen, seine Entscheidung, den abgrundtiefen Willen, den er hatte aufbringen müssen. Er versuchte, ihn sich im Bett vorzustellen, heute Morgen, wie er zur Seite an die Wand starrte und sich auf diesen Augenblick zudachte. Musste er in ein Geschäft gehen und eine Schachtel Streichhölzer kaufen? Er stellte sich einen Anruf bei jemandem vor, der weit weg war, einer Mutter oder Geliebten.
    Jetzt rückten die Kameramänner an, verließen die Spezialeinheit, die den Turm gegenüber zurückeroberte. Sie rannten zur Ecke, hüftbetont sprintende, breite Männer mit auf den Schultern hüpfenden Kameras, und sie kamen dicht an den brennenden Mann heran.
    Eric ließ sich wieder ins Auto hinab und saß auf dem Klappsitz, Vija Kinski gegenüber.
    Obwohl zugeschlagen und Gas versprüht wurde, obwohl eine Bombe hochgegangen und sogar die Investmentbank attackiert worden war, fand er, dass dieser Protest etwas Theatralisches hatte, ja, etwas Einnehmendes, mit den Fallschirmen und Skateboards, der Styropor-Ratte, mit dem taktischen Coup, die Aktienticker mit Lyrik und Karl Marx neu zu programmieren. Er fand, Kinski hatte recht, wenn sie sagte, das Ganze sei eine Marktfantasie. Zwischen den Demonstranten und dem Staat lag ein Schatten von Geschäftlichem. Der Protest war eine Form systemischer Hygiene, reinigend und schmierend. Er attestierte der Kultur des Marktes ein weiteres, ein zehntausendstes Mal innovative Brillanz und die Fähigkeit, sich selbst zu ihren eigenen flexiblen Zwecken umzugestalten und dabei alles ringsum in sich aufzunehmen.
    Guck mal. Ein Mann in Flammen. Hinter Eric flackerte es auf allen Bildschirmen. Und alle anderen Aktionen hatten aufgehört, das Geraufe zwischen Protestlern und Antikrawalleinheiten der Polizei, nur die Kameras drängelten sich vor. Was änderte das? Alles, fand er. Kinski hatte sich geirrt. Der Markt war nicht total. Er konnte diesen Mann nicht für sich beanspruchen oder seine Tat in sich aufnehmen. Nicht etwas so Krasses, Schreckliches. Dies lag außerhalb der Reichweite des Marktes.
    Er konnte die Berichterstattung von ihrem Gesicht ablesen. Sie war niedergeschlagen. Das Innere des Autos verjüngte sich nach hinten, was ihrem Platz, der normalerweise natürlich ihm zustand, Autorität verlieh, und er wusste, wie gern sie im Sessel aus Handschuhleder saß und durch die City glitt, tags oder nachts, und ex cathedra dozierte. Aber jetzt war sie entmutigt und sah ihn nicht an.
    »Es ist nicht echt«, sagte sie schließlich.
    »Hey. Was heißt echt? Er hat es doch getan, oder?«
    »Es ist eine Anmaßung.«
    »Er hat sich mit Benzin übergossen und das Streichholz entzündet.«
    »Diese ganzen vietnamesischen Mönche, einer nach dem anderen, in ihrem Lotossitz.«
    »Stellen Sie sich den Schmerz vor. Sitzen Sie mal da und fühlen

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