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Cosmopolis

Cosmopolis

Titel: Cosmopolis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Don DeLillo
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Sendewagen gelenkt und aus dem rumpelnden Getöse von Sirenen und Autoalarmanlagen herausgefiltert wurde.
    Ein Gespenst sucht die Welt heim, schrien sie.
    Das machte ihm Spaß. Teenager auf Skateboards sprayten Graffiti auf die Werbetafeln an den Seitenwänden von Bussen. Die Styropor-Ratte war mittlerweile umgekippt, und Polizei rückte in dichter Formation hinter Schutzschilden vor, behelmte Männer, die sich mit einer totalitären Grimmigkeit bewegten, und darüber musste Kinski offenbar seufzen.
    Protestler brachten das Auto zum Schaukeln. Er sah Kinski an und lächelte. Im Fernsehen kamen Nahaufnahmen von Gesichtern, die durch Pfeffergas verätzt waren. Die Zoomlinse fing einen Mann in Fallschirmkleidung ein, der sich von der Spitze eines Turms in der Nähe fallen ließ. Schirm und Mann waren wie ein Logo anarchistisch rot-schwarz gestreift, und sein Penis war entblößt. Sie schubsten das Auto vor und zurück. Projektile flogen aus Tränengaswaffen, und Polizisten stürmten in die Menge, Freiwillige voran, in Masken mit doppelten Filterkammern wie in irgendeinem Todescomic.
    »Sie wissen, was der Kapitalismus hervorbringt. Laut Marx und Engels.«
    »Seine eigenen Totengräber«, sagte er.
    »Aber das hier sind nicht die Totengräber. Das ist der freie Markt selbst. Diese Leute sind eine Fantasie, die der Markt hervorgebracht hat. Sie existieren außerhalb des Marktes gar nicht. Sie können nirgendwohin, wenn sie außerhalb sein wollen. Es gibt kein Außerhalb.«
    Die Kamera folgte einem Polizisten, der einen jungen Mann durch die Menge jagte, ein Bild, das in einem gewissen Abstand vom Augenblick dahinzutreiben schien.
    »Die Kultur des Marktes ist total. Sie bringt diese Männer und Frauen hervor. Die sind notwendig für das System, das sie verachten. Sie geben ihm Energie und Kontur. Sie werden vom Markt angetrieben. Sie werden auf den Märkten der Welt gehandelt. Deshalb existieren sie, um das System zu stärken und zu perpetuieren.«
    Er beobachtete, wie der Wodka in ihrem Glas hin- und herschwappte, als das Auto vor und zurück geschaukelt wurde. Leute hämmerten auf die Fenster und die Motorhaube. Er sah, wie Torval und die Bodyguards sie von der Karosserie fegten. Er dachte kurz über die Trennscheibe hinter dem Fahrer nach. Sie hatte einen Zedernholzrahmen, in den das Fragment einer ornamentalen Kufi-Handschrift eingearbeitet war, Pergament, spätes zehntes Jahrhundert, Bagdad, unbezahlbar.
    Sie zog ihren Sicherheitsgurt fester.
    »Sie müssen das verstehen.«
    Er sagte: »Was?«
    »Je visionärer der Gedanke, desto mehr Leute lässt er auf der Strecke. Darum geht es hier bei dem Protest eigentlich. Visionen von Technologie und Reichtum. Die Kraft des Cyberkapitals, die Menschen in die Gosse schicken wird, damit sie dort röcheln und verrecken. Was ist der Makel der menschlichen Rationalität?«
    Er sagte: »Was?«
    »Sie tut so, als sähe sie den Horror und Tod nicht, der am Ende der von ihr konstruierten Pläne steht. Dies ist ein Protest gegen die Zukunft. Sie wollen die Zukunft fernhalten. Sie wollen sie normalisieren und daran hindern, die Gegenwart zu überwältigen.«
    Autos brannten auf der Straße, Metall zischte und spuckte, und verblüffte Gestalten wanderten in Zeitlupe in Qualmwellen durch die Masse aus Fahrzeugen und Körpern, und überall rannten Leute, und ein Polizist war am Boden, auf den Knien, vor einem Fastfood-Laden.
    »Die Zukunft ist immer eine Ganzheit, Einförmigkeit. Dort sind wir alle groß und glücklich«, sagte sie. »Deshalb scheitert die Zukunft. Sie scheitert immer. Sie kann niemals der grausame glückliche Ort sein, zu dem wir sie machen möchten.«
    Jemand schleuderte eine Mülltonne gegen das Rückfenster. Kinski zuckte zusammen, nur ganz leicht. Direkt im Westen, auf der anderen Seite vom Broadway, errichteten die Protestler Barrikaden aus brennenden Reifen. Die ganze Zeit hatte es nach einem Plan ausgesehen, einem Ziel. Die Polizei schoss Gummikugeln durch den Qualm, der allmählich hoch über den Plakatwänden trieb. Andere Polizisten standen ein, zwei Meter weiter und halfen Erics Sicherheitskommando, das Auto zu schützen. Er wusste nicht, wie er das finden sollte.
    »Woher wissen wir denn, wann die globale Ära offiziell vorbei ist?«
    Er wartete.
    »Wenn Stretchlimousinen allmählich von den Straßen Manhattans verschwinden.«
    Männer urinierten auf das Auto. Frauen warfen mit sandgefüllten Colaflaschen.
    »Das ist kontrollierte Wut, würde ich sagen. Aber

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