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Cosmopolis

Cosmopolis

Titel: Cosmopolis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Don DeLillo
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Hände, glücklich und bezaubert.
    »Aber Sie durften nicht damit fliegen. Könnten Sie denn einen Bomber fliegen?«
    »Kann ich und habe ich. Bewaffnet darf ich ihn nicht fliegen, das ist verboten.«
    »Wer hat das verboten?«
    »Das Außenministerium. Das Pentagon. Das Amt für Alkohol, Tabak und Waffen.«
    »Die Russen?«
    »Welche Russen? Ich habe die Maschine auf dem Schwarzmarkt gekauft, spottbillig, von einem belgischen Waffenhändler in Kasachstan. Dort habe ich auch eine halbe Stunde lang am Steuerknüppel gesessen, über der Wüste. Einunddreißig Millionen, US – Dollar.«
    »Wo ist sie jetzt?«
    »Auf einem Gelände in Arizona geparkt. Wo sie auf Ersatzteile wartet, die keiner auftreiben kann. Hockt da im Wind. Ab und zu schau ich vorbei.«
    »Um was zu tun?«
    »Um sie mir anzuschauen. Sie gehört mir«, sagte er.
    Sie schloss die Augen und dachte nach. Die Bildschirme zeigten Tabellen und Diagramme, Updates vom Markt. Sie umklammerte eine Hand mit der anderen, fest, sodass die Adern ganz flach wurden und das Blut aus den Knöcheln wich.
    »Menschen sterben nicht. Ist das nicht das Credo der neuen Kultur? Menschen werden in Informationsströme aufgesogen. Ich weiß nichts darüber. Computer sterben. Sie sterben in ihrer gegenwärtigen Form. Als ausgeprägte Einzeleinheiten sind sie schon so gut wie tot. Eine Kiste, ein Monitor, eine Tastatur. Sie verschmelzen mit der Textur des Alltagslebens. Ist das wahr oder nicht?«
    »Selbst das Wort Computer.«
    »Selbst das Wort Computer klingt rückständig und doof.«
    Sie schlug die Augen auf und schien durch ihn hindurch zu schauen, sprach leise, und er stellte sie sich vor: mitten in der Nacht, bei Kerzenschein, breitbeinig auf seiner Brust hockend, nicht sexuell oder dämonisch dazu getrieben, sondern um in seinen anfallsartigen Schlaf hineinzusprechen, um seine Träume mit ihren Theorien zu stören.
    Sie redete. Das war ihre Aufgabe. Sie war dazu geboren und wurde dafür bezahlt. Aber was glaubte sie? Ihre Augen verrieten nichts. Zumindest ihm nicht, so schwach, grau, fern von ihm und unlebendig, wie sie ihm erschienen, manchmal auffunkelnd, aber nur im Aufwallen einer Einsicht oder Mutmaßung. Wo war ihr Leben? Was machte sie, wenn sie nach Hause ging? Wer war dort, abgesehen von der Katze? Er fand, es musste eine Katze geben. Wie konnten sie von solchen Dingen reden, er und sie? Sie waren nicht dazu qualifiziert.
    Es wäre ein Vertrauensbruch, fand er, sie zu fragen, ob sie eine Katze hatte, geschweige denn einen Ehemann, einen Geliebten, eine Lebensversicherung. Was für Pläne haben Sie am Wochenende? Die Frage wäre eine Form des Angriffs. Sie würde sich abwenden, wütend und gedemütigt. Sie war eine Stimme, der ihr Körper als nachträglicher Gedanke folgte, und ein schlaues Lächeln, das durch dichten Verkehr segelte. Gib ihr eine Geschichte, und sie wäre sofort verschwunden.
    »Ich verstehe nichts davon«, sagte sie. »Mikrochips – so klein und mächtig. Menschen und Computer verschmelzen. Das liegt weit außerhalb meiner Reichweite. Und das endlose Leben beginnt.« Sie nahm sich Zeit, ihn anzuschauen. »Sollte bei einem wirklich großen Mann der Ruhm des Todes nicht ein Argument gegen seinen Traum von Unsterblichkeit sein?«
    Kinski, die nackt auf seiner Brust saß.
    »Männer denken an Unsterblichkeit. Ist ja egal, was Frauen denken. Wir sind zu klein und zu wirklich, um hier ins Gewicht zu fallen«, sagte sie. »Die großen Männer in der Geschichte hatten immer die Erwartung, ewig zu leben, auch während sie den Bau ihrer Monumentalgräber am fernen Ufer des Flusses überwachten, am westlichen Ufer, wo die Sonne untergeht.«
    Kinski, die seine Alpträume belebte und Ereignisse darin kommentierte.
    »Da sitzt ihr, lauter weitreichende Visionen und stolzgeschwellte Taten. Warum sterben, wenn man auf Diskette leben kann? Wohlgemerkt, Diskette, nicht Grab. Ein Gedanke über den Körper hinaus. Ein Geist, der alles ist, was man je war und sein wird, aber niemals müde oder verwirrt oder beeinträchtigt. Mir ist das ein Rätsel, wie so etwas geschehen soll. Wird es eines Tages geschehen? Schneller, als wir denken, weil alles schneller geschieht, als wir denken. Vielleicht nachher, heute noch. Vielleicht ist heute der Tag, an dem alles passiert, im Guten wie im Schlechten, ka-wumm, einfach so.«
    Es war Dämmerlicht, nur noch dunkler, mit einem silbrigen Hauch in der Luft, und er stand draußen neben seinem Auto und sah Taxis zu, die sich aus dem

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