Cosmopolis
bis lange Zeit vergangen war, und die weiche Stimme eines Mannes rief »Schnitt«.
Er machte einen Schritt und streckte einen Arm hinter sich. Er spürte ihre Hand in seiner. Sie folgte ihm in den abgetrennten Bereich des Bürgersteigs, wo er sich im Dunkeln umdrehte und sie küsste, ihren Namen sagte. Sie kletterte auf seinen Körper, schlang die Beine um ihn, und sie liebten sich dort, der Mann aufrecht, die Frau rittlings, im Steingeruch der Zerstörung.
»Ich habe dein ganzes Geld verloren«, sagte er zu ihr.
Er hörte sie lachen. Er spürte den spontanen Atemhauch des Lachens, das Lecken feuchter Luft auf dem Gesicht. Er hatte vergessen, wieviel Vergnügen ihr Lachen machte, ein verrauchtes halbes Husten, ein Zigarettenlachen aus einem alten Schwarz-Weiß-Film.
»Ich verliere die ganze Zeit Sachen«, sagte sie. »Heute Morgen habe ich mein Auto verloren. Haben wir darüber gesprochen? Ich weiß es nicht mehr.«
So sah das also aus, die nächste Szene in dem Schwarz-Weiß-Film, der weltweit im Kino lief, mal abgesehen vom Drehbuch und der Notwendigkeit einer Neufinanzierung. Nach der nackten Massenszene nun die beiden Geliebten, abgeschieden, frei von Erinnerung und Zeit.
»Zuerst habe ich das Geld gestohlen und es dann verloren.«
Sie sagte lachend: »Wo?«
»Auf dem Markt.«
»Aber wo?«, sagte sie. »Wo landet es, wenn du es verlierst?«
Sie leckte ihm übers Gesicht und schlängelte sich an seinem Körper hoch, und er konnte sich nicht erinnern, wo das Geld landete. Sie fuhr ihm mit der Zunge über Auge und Augenbraue. Er hob sie überschwänglich immer höher und versenkte sein Gesicht in ihren Brüsten. Er spürte, wie sie hüpften und vibrierten.
»Was wissen Dichter schon von Geld? Liebe die Welt und zeichne sie mit einem Vers nach. Nur das«, sagte sie, »und das.«
Und dann legte sie eine Hand auf seinen Kopf und griff zu, riss ihn an den Haaren, eine prickelnde Faust voll, zog seinen Kopf nach hinten und beugte sich zum Kuss über ihn, küsste ihn so ausgedehnt und hingebungsvoll, mit solcher Daseinshitze, dass er sie endlich zu erkennen glaubte, seine Elise, die stöhnte, züngelte, ihn in den Mund biss, schwüle Worte hauchte und atemlos murmelte, wisperküsste, babybabbelte, ihr Körper mit seinem verschmolzen, die Beine umschlungen, ihr Hintern heiß in seinen Händen.
In dem Augenblick, als er wusste, dass er sie liebte, glitt sie an seinem Körper hinab und aus seinen Armen. Dann zwängte sie sich durch die schmale Öffnung in der Wand, und er sah ihr nach, wie sie die Straße überquerte. Nichts regte sich da draußen. Nur sie war Schritt und Schub und Schwung, Filmteam und Statisten waren weg, die Ausrüstung weg, und sie war kühl und silbrig schmal und ging erhobenen Hauptes, mit technischer Präzision zum letzten Trailer in der Tankstelle, wo sie ihre Kleider nehmen, sich schnell anziehen und verschwinden würde.
Er zog sich im Dunkeln an. Er spürte den feinkörnigen Straßenschotter, der in Rücken und Beinen steckte. Er stocherte nach seinen Socken herum, konnte sie aber nicht finden und ging barfuß auf die Straße hinaus, die Schuhe in der Hand.
Der letzte Trailer war weg, die Kreuzung leer. Diesmal setzte er sich nicht neben den Fahrer. Er wollte in dem hinteren Teil seiner korkausgeschlagenen Limousine sein, in Bronzelicht, allein im dahingleitenden Raum, und die Linien und Strukturen, die feinen Übergänge, die aufeinander abgestimmten Konturen und Materialien auskosten. Der lange Innenraum hatte etwas Schnittiges, Fließendes nach hinten zu, und er roch das Leder ringsum und das rote Zedernholz der Verkleidung an der Trennwand. Er spürte den knochenkalten Marmor unter den Füßen. Er betrachtete das Deckengemälde, ein tintendunkler Schwall, halb abstrakt, der die Planetenkonstellation zum Zeitpunkt seiner Geburt zeigte, auf Stunde, Minute und Sekunde berechnet.
Sie überquerten die Eleventh Avenue, ins Autoödland. Alte, vollgemüllte Garagen und schäbige Schaufenster. Autowerkstatt, Waschanlage, Gebrauchtwagenhändler. Ein Schild, Blechschaden AG. Autowracks aufgereiht auf dem Bürgersteig, Heck zur Straße. Es war die letzte Straße vor dem Fluss, keine Wohnungen, keine Fußgänger, mit Natodraht umzäunte Autostellplätze, eine Gegend, die zum derzeitigen Zustand seiner Limousine passte. Er zog die Schuhe an. Der Wagen hielt am Eingang zu einer unterirdischen Garage, wo er über Nacht stehen würde und wahrscheinlich für immer, oder bis sie ihn rauswarfen,
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