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Cosmopolis

Cosmopolis

Titel: Cosmopolis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Don DeLillo
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verschlossenen Tür, und er war bereit, sie einzutreten. Zuerst war mir ihr Verhältnis egal. Aber jetzt denke ich, sie müssen schon erstaunliche Dinge getrieben haben, denn warum sollte er sonst ihren Namen seiner Handfeuerwaffe zuflüstern? Macht funktioniert am besten, wenn sie keine Unterschiede macht. Auch in Science-Fiction-Filmen, da steht er dann mit seiner Laserpistole und tritt die Tür ein. Was ist der Unterschied zwischen dem Beschützer und dem Mörder, wenn beide Männer bewaffnet sind und mich hassen? Ich sehe ihn vor mir, seinen tumben Körperklotz auf ihr. Nancy Nancy Nancy. Oder er spricht ihren ganzen Namen aus, weil er ihn auch zu seiner Waffe sagt. Ich frage mich, wo wohnt sie, woran denkt sie, wenn sie mit dem Bus zur Arbeit fährt. Ich stehe hier und sehe sie vor mir, wie sie aus dem Badezimmer kommt und sich die Haare trocknet. Frauen barfuß auf Parkettböden, da krieg ich weiche Knie, das macht mich wild. Ich weiß, ich rede mit einer Waffe, die nicht reagieren kann, aber wie zieht sie sich aus, wenn sie sich auszieht? Ich denke, hat sie ihn bei sich zu Hause getroffen oder bei ihm, wenn sie treiben wollten, was immer sie getrieben haben. Diese Mütter mit ihren Nachmittagen im Kino. Wir gingen ins Kino, weil wir lernen wollten, zu zweit allein zu sein. Uns war kalt, wir waren verloren, und die Seele meines Vaters versuchte uns zu finden, sich in unseren Körpern niederzulassen, nicht, dass ich Ihr Mitgefühl möchte oder brauche. Ich stelle mir diese Frau beim Sex vor, hitzig, ausdruckslos, das ist so ein Nancy-Babich-Ding von ihr, das leere Gesicht. Ich spreche ihren Namen aus, aber nicht seinen. Ich konnte seinen Namen mal aussprechen, aber jetzt kann ich das nicht mehr, weil ich weiß, was zwischen ihnen gelaufen ist. Ich überlege, steht sein Bild gerahmt auf ihrer Frisierkommode. Wie oft müssen zwei Menschen ficken, bis einer von ihnen es verdient hat zu sterben? Ich stehe hier und bin wütend im Kopf. Mit anderen Worten, wie oft muss ich ihn umbringen? Diese Mütter, die sich vormachen lassen, dass man eine Tür eintreten könnte. Was ist eine Tür? Es ist ein bewegliches Element, das meistens auf Angeln schwingt, das einen Eingang verschließt und ausgedehntes kräftiges Hämmern erfordert, bevor es sich gewaltsam öffnen lässt.«
    Er trat von der Wand zurück und drehte sich um, ging direkt vor der Tür in Stellung. Dann trat er dagegen, mit dem Absatz zuerst. Sie ging sofort auf.
    Er ging schießend hinein. Nicht zielend und feuernd. Nur feuernd. Soll sich ruhig frei entfalten.
    Die Wände waren abgerissen. Das sah er als Erstes in dem wackligen Licht. Er schaute in einen Raum von beträchtlicher Größe, in dem überall Mauerschutt herumlag. Er versuchte, das Subjekt zu entdecken. Da stand ein zerfetztes Sofa, nicht besetzt, daneben ein Trimmrad. Er sah einen schweren Metallschreibtisch, ein angejahrtes Schlachtschiff, mit Papieren bedeckt. Er sah die Reste von Küche und Badezimmer, mit brutalen Lücken, wo einmal größere Geräte gestanden hatten. Es gab ein tragbares Baustellen-WC, über zwei Meter hoch, orange, schlammschlierig und verbeult. Er sah einen Kaffeetisch, eine unangezündete Kerze auf einer Untertasse und ein Dutzend Münzen rings um eine mattschwarze MK 23-Militärpistole verstreut, die eine Gesamtlänge von vierundzwanzig Zentimetern und einen LAM hatte.
    Die Toilettentür ging auf, und ein Mann kam heraus. Eric schoss erneut, unkonzentriert, abgelenkt durch das Aussehen des Mannes. Der war barfuß, in Jeans und T-Shirt, und hatte ein Badetuch wie einen Gebetsschal über Kopf und Schultern drapiert.
    »Was machen Sie hier?«
    »Das ist nicht die Frage. Die Frage«, sagte Eric, »müssen Sie beantworten. Warum wollen Sie mich umbringen?«
    »Nein, das ist nicht die Frage. Das ist zu einfach, um die Frage zu sein. Ich will Sie umbringen, damit ich in meinem Leben etwas vorzuweisen habe. Sehen Sie, wie einfach?«
    Er ging zum Tisch und nahm die Waffe. Dann setzte er sich aufs Sofa, vornübergebeugt, halb von seinem Badetuch verschleiert.
    »Sie sind kein reflektierter Mann. Ich lebe bewusst in meinem Kopf«, sagte er. »Geben Sie mir eine Zigarette.«
    »Geben Sie mir einen Drink.«
    »Erkennen Sie mich?«
    Er war schmächtig und unrasiert, es sah absurd aus, wie er versuchte, mit einer so Achtung gebietenden Waffe umzugehen. Die Pistole war dominierend, trotz des dramatischen Badetuchs auf dem Kopf.
    »Ich kann Sie nicht richtig sehen.«
    »Setzen Sie sich.

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