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Cosmopolis

Cosmopolis

Titel: Cosmopolis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Don DeLillo
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geschlafen hatte. Er war wachsam, erpicht auf Action und Entscheidung. Irgendetwas musste bald geschehen, jeder Zweifel zerstreut und irgendein Schema deutlich werden, der Plan des Subjekts sichtbar und kenntlich.
    Dann wurde Licht eingeschaltet, direkt vor ihnen, mit einem Knistern und Rauschen wurde es hochgefahren, Flutlicht von großen Kohlebogenscheinwerfern, die auf Dreifüßen standen und an Laternenpfählen montiert waren. Eine Frau in Jeans erschien und machte Zeichen, das Auto solle anhalten. Die Kreuzung war in flirrendes Licht getaucht, die Nacht mit einem Mal lebendig.
    Leute überquerten immer wieder die Straßen, riefen sich etwas zu oder sprachen in Handys, und Lkw-Fahrer luden Ausrüstung von langen Hängern ab, die auf beiden Seiten der Avenue geparkt waren. Trailer standen in der Tankstelle gegenüber. Der Mann in dem Imbisswagen öffnete die Seitenklappe, für die Essensausgabe, und jetzt erst sah Eric das schwere Fahrzeug mit dem beweglichen Ausleger darauf, das langsam heranrollte. Oben am äußersten Ende des Auslegers war eine Plattform, auf der eine Filmkamera und einige sitzende Männer Platz hatten.
    Der Kran war nicht das Einzige, was er übersehen hatte. Als er ausstieg und zu einer Stelle ging, wo der Imbisswagen nicht die Sicht verstellte, erblickte er die Elemente der Szene, die gerade vorbereitet wurde.
    Da lagen dreihundert nackte Menschen ausgestreckt auf der Straße. Sie füllten die Kreuzung, lagen in willkürlichen Positionen da, einige Körper über andere drapiert, einige flachgelegt, platt, fötal, und dazwischen Kinder. Keiner rührte sich, keiner hatte die Augen offen. War das ein Anblick, eine Stadt aus betäubtem Fleisch, die Blöße, das helle Licht, so viele ungeschützte Körper, schwer zu glauben an einem Ort für gewöhnlichen menschlichen Durchgangsverkehr.
    Natürlich gab es einen Kontext. Jemand machte einen Film. Aber das war nur ein Bezugsrahmen. Die Körper waren krasse Tatsachen, die nackt auf der Straße lagen. Ihre Kraft gehörte ihnen, ganz gleich, welche Umstände das Ereignis begleiteten. Aber es war eine seltsame Kraft, fand er, denn das Ganze wirkte scheu und matt, ein wenig zurückgezogen. Eine Frau hustete mit zuckendem Kopf und Knie. Er fragte sich nicht, ob sie alle tot oder nur bewusstlos sein sollten. Er fand sie traurig und gewagt zugleich, nackter als jemals in ihrem Leben.
    Techniker schlängelten sich mit Belichtungsmessern durch die Menge, stiegen behutsam über Köpfe und zwischen gespreizten Beinen hindurch, deklamierten Zahlen in die Nacht hinaus, und eine Frau mit einer Tafel stand bereit, um Szene und Take zu notieren. Eric ging bis zur Ecke und zwängte sich zwischen den verzogenen Platten hindurch, die den Bürgersteig blockierten. Er stand zwischen Sperrholzwänden, atmete Mörtel und Staub ein und zog sich aus. Er brauchte einen Moment, um sich zu erinnern, warum es in der Bauchgegend so schlimm brannte. Da hatte sie ihn mit ihrer Betäubungspistole außer Gefecht gesetzt. Hatte die vielleicht sensationell ausgesehen in Bogen und Blitz, seine Leibwächterin in ihrer gepanzerten Weste. Er spürte einen nachhaltigen Stich, auf halber Schwanzhöhe, von dem Wodka, den sie draufgeträufelt hatte.
    Er rollte seine Hose fest um den Revolver und ließ all seine Kleider auf dem Bürgersteig zurück. Er tastete sich durch die Dunkelheit, bog um die Ecke und lehnte sich mit der Schulter an eine Platte, bis er einen Lichtsaum erkennen konnte. Er schob langsam, hörte die Platte über den Asphalt scharren, und dann schlich er hinaus auf die Straße. Er machte zehn Babyschritte, bis er den Rand der Kreuzung und die Grenze aus hingestreckten Körpern erreichte.
    Er legte sich zwischen sie. Er spürte die veränderte Textur der Kaugummiknubbel, die durch jahrzehntelangen Verkehr verdichtet worden waren. Er roch die Bodendünste, Öllecks und Schleuderspuren aus Gummi. Wie heißer Asphalt im Sommer. Er lag auf dem Rücken, mit verdrehtem Kopf, einen Arm auf der Brust. Sein Körper fühlte sich hier dumm an, eine Schaumperle aus tierischem Fett in einer Industriebrache. Aus einem Auge sah er den Kameraschwenk in sieben Metern Höhe über der Szene. Die Gesamtaufnahme wurde immer noch vorbereitet, dachte er, während eine Frau mit Handkamera durch das Gelände streifte und Digitalvideoaufnahmen machte.
    Ein höherer Assistent rief einem untergeordneten zu: »Bobby, absichern.«
    Die Straße wurde allmählich still. Stimmen erstarben, immer weniger

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