Cosmopolis
redeten mit Eric. Sie bleckten die Zähne und aßen. Sie bestanden darauf, dass er den Revolver nahm. Er war sich nicht sicher, ob das einen Unterschied machte. Er befürchtete, dass die Nacht vorüber war. Die Bedrohung hätte materielle Form annehmen müssen, bald nachdem Torval zu Boden gegangen war, aber dazu war es bis jetzt nicht gekommen, und allmählich glaubte er auch nicht mehr daran. Das war die denkbar ernüchterndste Aussicht, dass da draußen gar keiner war. Sie versetzte ihn in eine Art Schwebe, alles, was weltlich und folgenschwer war, lag in verschwommenen Trümmern hinter ihm, aber kein Höhepunkt vor ihm.
Nur eins blieb noch, der Haarschnitt.
Anthony wedelte mit dem gestreiften Umhang. Er sprühte Wasser auf Erics Kopf. Jetzt fiel das Reden leicht. Er füllte das Whiskyglas mit Sambuca nach. Dann klapperte er vorbereitend mit der Schere in der Luft, einen Fingerbreit von Erics Ohr entfernt. Dazu das branchenübliche Gerede, Mieterhöhungen und der Verkehr in den Tunneln. Eric hielt das Glas auf Kinnhöhe, den Arm am Körper, und nippte bewusst.
Nach einer Weile warf er den Umhang ab. Er konnte hier nicht länger sitzen. Er sprang aus dem Stuhl auf und kippte den Drink in einem Zug, wie einen Whisky.
Anthony wirkte mit einem Mal sehr klein, den grob gezähnten Kamm in der einen Hand und die Schere in der anderen.
»Warum denn?«
»Ich muss weg. Ich weiß nicht warum. Darum.«
»Aber lass mich doch zumindest noch die rechte Seite machen. Damit beide Seiten gleich sind.«
Das war Anthony wichtig. Keine Frage. Dass beide Seiten zueinanderpassten.
»Ich komme zurück. Mein Wort darauf. Ich setze mich hin, und du schneidest fertig.«
Aber der Fahrer verstand ihn. Ibrahim ging zum Schrank und holte den Revolver heraus. Dann reichte er ihn Eric, Griff zuerst, und eine Ader wurde plötzlich auf seinem Handrücken sichtbar.
Sein Gesicht drückte Entschlossenheit aus, ein feierliches Anerkennen der Pflicht, das Grausame und Erbarmungslose in der Welt wahrzunehmen, und Eric wollte auf die gesetzte, ernsthafte Art des Mannes eingehen, auch auf die Gefahr hin, ihn zu enttäuschen.
Er nahm den Revolver in die Hand. Vernickelter Schrott. Aber er spürte die Tiefe von Ibrahims Erfahrung. Er versuchte, das verwüstete Auge des Mannes zu entziffern, den blutunterlaufenen Streifen unter dem Kapuzenlid. Er respektierte das Auge. Darin lag eine Geschichte, eine brütende Legende von Zeit und Schicksal.
Durch einen hohen blauen Zylinder quoll Dampf aus einem Einstiegsloch, ein absolut gewöhnlicher Anblick, fand er, aber wunderschön jetzt, denn darin lag die Fremdheit, das Unentzifferbare von etwas neu Gesehenem, Dampf, den die Stadterde ausatmete, fast eine Erscheinung.
Das Auto näherte sich der Eleventh Avenue. Er saß vorn neben dem Fahrer und bat ihn, jeglichen Kontakt zum Komplex zu kappen. Ibrahim tat es. Dann aktivierte er das Nachtsichtdisplay. Eine Reihe von Thermalbildern tauchte auf der Windschutzscheibe auf, unten links, Objekte außerhalb der Reichweite der Scheinwerfer. Er stellte die Container unten beim Fluss etwas heller und den Bildausschnitt etwas höher. Er aktivierte die Mikrokameras, die jede Bewegung im Umkreis des Autos wahrnahmen. Wer immer sich näherte, egal aus welchem Winkel, war drinnen auf einem der Monitore am Armaturenbrett zu sehen. Diese Ausrüstung kam Eric wie Spielzeug vor, höchstens für Videokunst zu gebrauchen.
»Ibrahim, sag mir eins.«
»Ja.«
»Diese Stretchlimos, von denen die Stadt voll ist. Ich habe mich immer gefragt.«
»Ja.«
»Wo werden die nachts geparkt? Sie brauchen doch viel Platz. Draußen bei den Flughäfen oder irgendwo in den Meadowlands. Auf Long Island, in New Jersey.«
»Ich fahre nach New Jersey. Die Limo bleibt hier.«
»Wo?«
»Im nächsten Block. Da gibt es eine unterirdische Garage. Nur für Limos. Ich stelle Ihr Auto da ab, hole mir meins und fahre durch den stinkenden Tunnel nach Hause.«
Ein altes Fabrikgebäude stand an der Südostecke, zehn Stockwerke hoch, wie ein Klotz, ein verspäteter mittelalterlicher Ausbeuterbetrieb, eine Feuerfalle. Zugenagelte Fenster, Gerüste, auf dem Bürgersteig eine Bretterwand. Ibrahim manövrierte das Auto weiter nach rechts, zu abgesperrten Zonen hielt er Abstand. Ein Fahrzeug tauchte vor ihnen auf der Straße auf, ein Imbisswagen, unwahrscheinlich zu dieser Stunde, unnormal, auf jeden Fall im Auge zu behalten.
Die Waffe steckte in seinem Hosenbund. Unbequem. Er erinnerte sich, dass er
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