Cotton-Malone 03 - Der Pandora-Pakt
»Kommt diese Pflanze häufig vor?«
Der alte Mann nickte. »Aber nur die Blätter aus diesem Becken haben Heilkräfte. «
»Warum das?«
»Ich weiß es nicht. Vielleicht ist es göttlicher Wille. «
Das bezweifelte Vincenti. »Kennt man diese Stelle in anderen Dörfern? Wissen andere Heiler über sie Bescheid?«
»Ich bin der Einzige, der die Pflanze verwendet. «
Vincenti streckte die Hand aus, zog eine der schwimmenden Pflanzen näher zu sich heran und versuchte, sie botanisch zuzuordnen. Sie gehörte zur Gattung der Tracheophyta, der Stängel saß mittig, und die Blätter waren von einem feinen Gefäßsystem durchzogen. Acht dicke, fleischige Nebenblätter umschlossen den Ansatz des Stängels und bildeten eine schwimmende Plattform. Die Epidermis der Blätter war dunkelgrün, ihre Blattwände waren mit Glukose gefüllt. Aus der Mitte ragte ein kurzer Stiel auf, der zum Ausgleich für die begrenzte Blattfläche wahrscheinlich ebenfalls als Photosynthesefläche diente. Die weichen, weißen Blütenblätter waren in Quirlen angeordnet und verströmten keinen Duft.
Er sah unter die Pflanze. Ein Gewirr sehniger, brauner Wurzeln ragte auf der Suche nach Nährstoffen ins Wasser. Allem Anschein nach hatte diese Pflanzenart sich gut an ihre Umwelt angepasst.
»Wie hast du von der Heilkraft der Pflanze erfahren?«
»Mein Vater hat mir die Pflanze gezeigt. «
Vincenti hob die Pflanze aus dem Wasser und umschloss sie mit der Hand. Warmes Wasser rann durch seine Finger.
»Die Blätter müssen als Ganzes gekaut und der Saft geschluckt werden. «
Vincenti brach ein Büschel ab und führte es zum Mund. Er sah den alten Mann an, der ihn mit ruhiger und selbstbewusster Miene durchdringend anstarrte. Vincenti steckte das Blatt in den Mund und kaute. Es schmeckte bitter und scharf wie Alaun – und scheußlich wie Tabak.
Vincenti saugte den Saft aus dem Blatt und schluckte ihn runter, wobei er fast würgen musste.
55
Venedig
Cassiopeia hatte ihre Aufmerksamkeit zunächst auf das nördliche Querschiff auf der gegenüberliegenden Seite des Hauptschiffs gerichtet, weil dort jemand auf Malone geschossen hatte. Hinter der hüfthohen Brüstung hatte sie Kopf und Brust eines Leibwächters erkannt, Malone jedoch nicht gesehen. Dann hatte sie beobachtet, wie Zovastina ihre Waffe abfeuerte und die Kugel nur Zentimeter vor Thorvaldsen vom Marmorboden abprallte. Der Däne hatte die Stellung gehalten und sich nicht gerührt.
Da erregte eine Bewegung zu ihrer Rechten ihre Aufmerksamkeit. Im Eingang zum Treppenschacht tauchte ein Mann mit einer Pistole auf. Er sah Cassiopeia und hob die Waffe, doch er hatte keine Gelegenheit mehr, sie abzufeuern.
Sie schoss ihn in die Brust.
Er warf die Arme in die Höhe und stürzte nach hinten. Mit einem weiteren, gut gezielten Schuss brachte sie ihn endgültig zur Strecke. Sie sah, wie der andere Leibwächter in etwa vierzig Meter Entfernung weiter in den Ausstellungsraum des Museums vordrang. Sie nahm den Bogen von der Schulter und griff nach einem Pfeil, hielt dabei aber Abstand von der Brüstung, damit Zovastina nicht auf sie schießen konnte.
Ob es wohl an der Zeit war, sich Sorgen zu machen. Unmittelbar bevor der Leibwächter oben aufgetaucht war, war Viktor im unteren Teil des Querschiffs verschwunden. Ihr wäre wohler gewesen, wenn sie gewusst hätte, wo er sich in diesem Augenblick rumtrieb.
Sie legte die Kerbe des Pfeils in die Bogensehne ein und Packte den Bogengriff.
Dann spannte sie die Sehne.
Im dämmrigen Licht des gegenüberliegenden Querschiffs war der Leibwächter immer nur einen kurzen Moment lang zu sehen.
Malones Pistole war schussbereit, und er wartete nur darauf, dass der Wächter noch ein paar Schritte näher kam. Malone hatte es geschafft, leise über den Holzboden zu huschen und sich im Schutz der Dunkelheit ungesehen hinter einem der Exponate zu verstecken. Drei Schüsse aus dem Hauptschiff hatten das Geräusch seiner Bewegungen überdeckt. Wegen des mehrfachen Echos war schwer zu sagen, von wo genau sie kamen. Malone wollte den Leibwächter nicht erschießen.
Buchhändler waren im Allgemeinen eher friedliebende Leute.
Aber wahrscheinlich würde er keine Wahl haben.
Er holte tief Luft und huschte weiter.
Zovastina starrte Henrik Thorvaldsen an, während oben weitere Schüsse fielen. Aus ihren einsamen dreißig Minuten in der Basilika war ein chaotisches Treffen aller möglichen Leute geworden.
Thorvaldsen zeigte zur Holzkiste auf dem Boden. »Nicht das, was
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