Cotton-Malone 03 - Der Pandora-Pakt
nach Samarkand steht nichts im Wege.«
»Ich darf davon ausgehen, dass unsere Mitglieder startbereit sind?«
»Es wird sofort zu einem neuen Investitionsschub kommen. Die meisten Mitglieder visieren eine deutliche Expansion an. Bisher waren sie ja auf unsere Anweisung hin vorsichtig.«
Die Zeit war knapp. Genau wie beim ursprünglichen Zehnerrat würde die Hälfte des derzeitigen Rates bald nach dem Rotationsprinzip ersetzt werden. Die Satzung des Bündnisses legte fest, dass alle zwei Jahre fünf Mitglieder ausgewechselt wurden. Vincentis Amtszeit ging in weniger als dreißig Tagen zu Ende.
Das war ein Segen und ein Problem.
Vor sechshundert Jahren war Venedig eine oligarchische Republik gewesen, die in einem komplizierten politischen System, das jeglichen Despotismus verhindern sollte, von Kaufleuten regiert worden war. Intrigen und die Bildung von Splittergruppen hatte man durch Verfahren ausschließen wollen, die zu einem großen Teil auf dem Zufallsprinzip beruhten. Nie hatte eine einzige Person alle Macht inne. Es waren immer Gruppen, die berieten, entschieden und handelten. Gruppen, deren Zusammensetzung sich in regelmäßigen Abständen veränderte.
Trotzdem hatte es Korruption gegeben. Es war zu Verschwörungen gekommen, unsinnige Projekte waren von Einzelnen vorangetrieben und konspirative Netze waren gewoben worden.
Die Menschen fanden immer einen Weg.
Und auch er hatte einen gefunden.
Noch dreißig Tage.
Das war mehr als genug Zeit.
»Was ist mit Chefministerin Zovastina«, fragte eins der Ratsmitglieder. »Wird mit ihr alles klargehen?«
»Also das könnte die Frage des Tages werden«, antwortete Vincenti.
7
Samarkand
Zentralasiatische Föderation
06.20 Uhr
Zovastina trieb ihr Pferd an. Auch die anderen Tschopenos peitschten auf ihre Tiere ein. Von der zerstampften Grasnarbe spritzte Schlamm auf. Sie nahm die Peitsche zwischen die Zähne und packte die Zügel mit beiden Händen. Bisher hatte sich keiner dem Ziegenkadaver genähert, der in der Erdkuhle lag.
»Los, Bukephalos«, flüsterte sie dem Pferd ins Ohr. »Es wird Zeit, dass wir’s denen zeigen.« Sie riss am Zügel, und das Pferd stürmte los.
Die Regeln des Spiels waren einfach. Man musste den Boz packen, mit ihm im Arm zum Ende des Feldes reiten, den Pfahl umrunden, zurückkehren und die tote Ziege in den Kreis der Gerechtigkeit legen, der mit Kalk aufs Gras aufgezeichnet war. Das klang einfach, doch das Problem waren die anderen Tschopenos, die so ziemlich alles tun durften, um den Boz zu stehlen.
Mit der Ministerin Buskaschi zu spielen wurde als Ehre betrachtet, und sie wählte die Teilnehmer stets sorgfältig aus. Heute waren die beiden Mannschaften zu je zwölf Spielern aus ihren Leibwächtern und neun geladenen Gästen gebildet worden.
Sie war die einzige Frau.
Und das gefiel ihr.
Bukephalos schien zu spüren, was von ihm erwartet wurde, und galoppierte dicht an den Boz heran. Ein Gegenspieler rammte die rechte Seite ihres Pferdes. Zovastina nahm die Peitsche aus dem Mund und versetzte dem Reiter einen Schlag ins Gesicht. Der wischte den Hieb beiseite und setzte seinen Angriff fort, wobei er nun von drei weiteren Reitern unterstützt wurde, die versuchten, Zovastina aufzuhalten.
Zwei Reiter aus ihrer Mannschaft schlossen die Reihen und bekämpften die drei Gegner.
Ein Getümmel aus Pferden und Reitern umringte den Boz.
Zovastina hatte ihrer Mannschaft vorher gesagt, dass sie die erste Runde um den Pfahl drehen wollte, und die Leute schienen ihr den Gefallen zu tun.
Ein vierter Spieler der gegnerischen Mannschaft näherte sich.
Alle vierundzwanzig Tschopenos ritten im Kreis, und Zovastina kam es vor, als würde die Welt sich um sie drehen. Einer ihrer Gegner versetzte ihr eins mit der Peitsche gegen die Brust, aber die dicke Lederjacke hielt den Schlag ab. Normalerweise war es ein Kapitalverbrechen, die Chefministerin zu schlagen, doch während des Buskaschi galt diese Regel nicht, denn sie wollte, dass ihre Mitspieler ungehemmt spielen konnten.
Ein Reiter rutschte vom Pferd und stürzte zu Boden.
Keiner hielt an, um ihm zu helfen. Das war nicht erlaubt.
Bei diesem Spiel kam es häufig zu gebrochenen Gliedmaßen und blutigen Wunden. In den letzten zwei Jahren waren tatsächlich fünf Menschen auf diesem Feld gestorben. Beim Buskaschi war es seit jeher oft zu Todesfällen gekommen. Selbst das Strafgesetzbuch der Föderation enthielt eine Ausnahmeregelung für Mord, die sich auf das Spiel bezog.
Zovastina
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