Cotton-Malone 03 - Der Pandora-Pakt
empfangen, stellte die Partei der Islamischen Renaissance dar. Diese war zwar seit Jahren verboten, arbeitete aber erfolgreich im Untergrund, vor allem im Ferghana-Tal des alten Usbekistan. Zovastina hatte die Hauptunruhestifter zwar heimlich mit Krankheiten infiziert und geglaubt, die Anführer ausgeschaltet zu haben, doch die Partei verschwand einfach nicht von der Bildfläche. Wenn sie mehr religiösen Wettbewerb zuließ, insbesondere seitens einer Organisation wie der katholischen Kirche, würde das die Islamisten dazu bringen, ihre Wut gegen einen noch bedrohlicheren Feind als die Chefministerin zu richten. Daher sagte sie: »Ich habe beschlossen, Ihrer Kirche Zugang zur Föderation zu gewähren.«
»Das höre ich gerne.«
»Aber nur unter bestimmten Bedingungen.«
Das Strahlen verschwand aus dem vergnügten Gesicht des Priesters.
»So schlimm sind die auch wieder nicht«, sagte sie. »Eigentlich habe ich nur eine kleine Bitte. Morgen Abend wird im Markusdom in Venedig das Grab des Heiligen Markus geöffnet.«
Der Nuntius sah sie erstaunt an.
»Gewiss kennen Sie die Geschichte des Heiligen Markus und wie es dazu kam, dass er in Venedig bestattet wurde?«
Michener nickte. »Ich habe einen Freund, der im Dom arbeitet. Wir haben darüber gesprochen.«
Auch sie kannte die Geschichte. Markus, einer der zwölf Jünger Jesu, wurde von Petrus zum Bischof von Alexandria erhoben und 67 n. Chr. von den Heiden der Stadt ermordet. Als sie versuchten, seine Leiche zu verbrennen, löschte ein Unwetter die Flammen und verschaffte den Christen die Zeit, die sie brauchten, um die Leiche in Sicherheit zu bringen. Markus wurde mumifiziert und an einer Stätte, die bis zum vierten Jahrhundert nicht bekannt gegeben wurde, heimlich beigesetzt. Nach der christlichen Übernahme der Stadt wurde eine kunstvolle Grabstätte angelegt, die bald als so heilig galt, dass Alexandrias neu ernannte Patriarchen allesamt auf dieser Grabstätte in ihr Amt eingesetzt wurden. Der Schrein überstand das Aufkommen des Islam und die Invasionen der Perser und Araber im siebten Jahrhundert.
Aber im Jahr 828 stahl eine Gruppe von venezianischen Kaufleuten den Leichnam.
Venedig wollte damals ein Symbol für seine politische und theologische Unabhängigkeit. Rom hatte den Heiligen Petrus, und Venedig würde den Heiligen Markus haben. Gleichzeitig machte Alexandrias Klerus sich große Sorgen um die Reliquien der Stadt. Die islamische Herrschaft wurde immer christenfeindlicher. Schreine und Kirchen waren abgerissen worden. Und deswegen wurde der Leichnam des Heiligen Markus mit Hilfe der Grabwächter fortgeschafft.
Zovastina fand besonders die Details dieser Aktion faszinierend.
Der in der Nähe bestattete Leichnam des Heiligen Claudius wurde als Ersatz verwendet, um den Diebstahl zu kaschieren. Der Duft der vom Einbalsamieren verbliebenen Flüssigkeiten war angeblich so stark, dass man Markus’ Leichnam in Schichten von Kohlblättern und Schweinefleisch einwickelte, um die Hafenaufsicht davon abzuhalten, die Fracht des abgehenden Schiffs zu untersuchen. Der Trick funktionierte, denn beim Anblick des Schweinefleischs flohen die muslimischen Inspektoren voller Entsetzen. Der Leichnam wurde dann mit Segeltuch umhüllt und an ein Rahnock gehängt. Auf der Rückfahrt nach Italien erschien dann angeblich der Geist des Heiligen Markus und rettete das Schiff in einem Sturm vorm Kentern.
»Am 31. Januar 828 wurde der Leichnam des Heiligen Markus in Venedig zum Dogen gebracht«, erzählte Zovastina. »Der Doge brachte die Reliquie im Palast unter, doch irgendwann verschwand sie und tauchte erst 1094 wieder auf, als die gerade fertiggestellte Basilica di San Marco eingeweiht wurde. Markus’ Gebeine wurden damals in einer Krypta unter der Kirche beigesetzt, doch im neunzehnten Jahrhundert erhielt er einen Platz unter dem Hochaltar, wo er bis heute ruht. Finden Sie nicht auch, dass es im Lebenslauf dieser Reliquie ziemlich viele Leerstellen gibt?«
»So ist das halt bei Reliquien.«
»Der Leichnam des Heiligen Markus war vierhundert Jahre lang in Alexandria und dann nochmals beinahe dreihundert Jahre lang in Venedig verschwunden.«
Der Nuntius hob die Schultern. »Das ist eine Frage des Glaubens, Frau Ministerin.«
»Die Stadt Alexandria ärgert sich bis heute über diesen Diebstahl«, sagte sie. »Und vor allem über die Art, wie diese Tat in Venedig seit Jahrhunderten hochgehalten wird, als hätten die Diebe sich auf einer heiligen Mission befunden.
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