Cotton Malone 04 - Antarctica
kommerzieller Flug war, gab es keinen Sicherheitscheck. Obgleich sie damit wieder einmal zugelassen hatte, dass ihre Mutter eine Entscheidung für sie traf, und sich das selbst übelnahm, fühlte sie sich mit griffbereiter Waffe besser.
Christl drehte den Kopf.
Im Dämmerlicht begegnete ihr Blick dem Dorotheas.
Was für eine bittere Ironie des Schicksals, dass sie gemeinsam in diesem Flugzeug saßen, zusammengeworfen. Ob es etwas helfen würde, mit ihr zu sprechen?
Sie beschloss, es zu versuchen.
Sie schnallte sich los und erhob sich von ihrem Sitz. Dann trat sie über den schmalen Mittelgang und hockte sich neben ihre Schwester. »Wir müssen damit aufhören«, sagte sie über den Lärm hinweg.
»Das habe ich vor. Sobald wir herausgefunden haben, was sich dort befindet.« Christls Miene war so eisig wie das Flugzeug.
Dorothea versuchte es erneut. »All das spielt keine Rolle.«
»Nicht für dich. Noch nie. Dir ging es immer nur darum, den Reichtum an euren kostbaren Georg zu vererben.«
Die Worte taten weh, und Dorothea wollte wissen: »Warum hast du ihn abgelehnt?«
»Er war genau das, was ich niemals haben konnte, teure Schwester.«
Sie hörte die Bitterkeit heraus, und in ihr selber prallten widersprüchliche Empfindungen aufeinander. Zwei Tage lang hatte Dorothea an Georgs Sarg geweint und mit aller Kraft versucht, sich von der Erinnerung an ihn zu lösen. Christl war zur Beerdigung gekommen, aber schnell wieder gegangen. Nicht ein einziges Mal hatte sie ihrer Schwester Beileid gewünscht.
Nichts.
Georgs Tod hatte einen Wendepunkt in Dorotheas Leben bedeutet. Alles hatte sich danach geändert. Ihre Ehe, ihre Familie. Am wichtigsten aber sie selbst. Das, was aus ihr geworden war, gefiel ihr nicht, aber sie hatte Zorn und Groll bereitwillig als Ersatz für das Kind akzeptiert, das sie innig geliebt hatte.
»Du bist unfruchtbar?«, fragte sie.
»Was geht dich das an?«
»Weiß Mutter, dass du keine Kinder haben kannst?«
»Was spielt das für eine Rolle? Hier geht es nicht mehr um Kinder. Sondern um das Vermächtnis der Oberhausers. Um das, woran diese Familie geglaubt hat.«
Dorothea sah, dass ihre Bemühungen vergeblich waren. Die Kluft zwischen ihnen war zu groß, um sie zu schließen oder zu überbrücken.
Sie wollte aufstehen.
Christl riss Dorotheas Hand am Handgelenk nach unten. »Darum habe ich bei seinem Tod nicht gesagt, dass es mir leidtut. Wenigstens weißt du, wie es ist, ein Kind zu haben.«
Die kleinliche Boshaftigkeit dieses Kommentars erschütterte Dorothea. »Gott helfe jedem Kind, das du gehabt hättest. Du hättest es niemals lieben können. Du bist dieser Art von Liebe unfähig.«
»Anscheinend hast du auch keine so tolle Arbeit geleistet. Dein Kind ist tot.«
Die verdammte Schlampe.
Dorothea ballte die rechte Hand zur Faust und schlug sie krachend Christl ins Gesicht.
Ramsey saß an seinem Schreibtisch und bereitete sich vor. Mit Sicherheit erwarteten ihn weitere Interviews und die Aufmerksamkeit der Presse. Morgen würde Admiral Sylvians Bestattung auf dem Arlington National Cemetery stattfinden, und er ermahnte sich, dieses traurige Ereignis gegenüber jedem Interviewer zu erwähnen. Denk an den gefallenen Kameraden. Sei dankbar, dass du dazu auserwählt wurdest, in seine Fußstapfen zu treten. Bedauere den Verlust eines Admiralskollegen. Sylvian würde mit allen Ehren bestattet werden. Beim Militär wusste man definitiv, wie man ein eindrucksvolles Begräbnis ausrichtete. Das hatte man oft genug getan.
Sein Handy klingelte. Eine internationale Nummer. Deutschland. Es wurde auch Zeit.
»Guten Abend, Herr Admiral«, sagte eine raue Frauenstimme.
»Frau Oberhauser. Ich habe Ihren Anruf erwartet.«
»Und woher wussten Sie, dass ich anrufen würde?«
»Sie sind eine kontrollsüchtige alte Frau, die alle Fäden in der Hand haben möchte.«
Sie kicherte. »Das bin ich. Ihre Männer haben gute Arbeit geleistet. Malone ist tot.«
»Ich warte lieber ab, bis diese mir selbst Bericht erstatten.«
»Das ist leider unmöglich. Sie sind ebenfalls tot.«
»Dann haben Sie Pech. Ich brauche die Bestätigung.«
»Haben Sie in den letzten zwölf Stunden irgendetwas von Malone gehört? Irgendwelche Berichte, was er gerade tut?«
Nein, das hatte er nicht.
»Ich habe ihn sterben sehen.«
»Dann gibt es nichts mehr zu sagen.«
»Nur dass Sie mir eine Antwort auf meine Frage schulden. Warum ist mein Mann niemals zurückgekehrt?«
Zum Teufel, was soll’s. Erzähle es ihr.
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