Cotton Malone 05 - Der Korse
nur von einem angenehmen Überfluss.
»Das Château befindet sich seit drei Jahrhunderten im Besitz meiner Familie«, sagte Larocque. »Ein Besitzer hat den Hauptteil auf dem Nordufer gebaut, wo wir gerade gesessen haben, und dazu eine Brücke als Verbindung zum Südufer. Ein Nachfolger hat dann auf der Brücke eine Galerie errichtet.«
Sie zeigte nach vorn.
Er sah auf einen langgezogenen Saal von vielleicht sechzig Meter, dessen Boden im Schachbrettmuster gefliest war und dessen Decke von schweren Eichenbalken getragen wurde. Durch symmetrisch angeordnete Fenster, die sich die ganze Galerie entlang zu beiden Seiten hin öffneten, strömte das Sonnenlicht herein.
»Während des Krieges haben die Deutschen das Château besetzt«, sagte sie. »Das Südtor auf der anderen Seite lag in der freien Zone. Das Tor auf dieser Seite befand sich in der besetzten Zone. Sie können sich vorstellen, wie viel Ärger dadurch entstand.«
»Ich hasse die Deutschen«, stellte er klar.
Sie sah ihn forschend an.
»Sie haben meine Familie vernichtet, mein Land besetzt und versucht, meine Religion zu zerstören. Das kann ich ihnen niemals vergeben.«
Er gab ihr Zeit, zu verarbeiten, dass er Jude war. Seine Nachforschungen über sie hatten ergeben, dass sie seit langem ein Vorurteil gegen Juden hegte. Es gab dafür, soweit er wusste, keinen besonderen Grund, es war einfach eine tief verwurzelte Abneigung, die durchaus nichts Ungewöhnliches war. Seine Nachforschungen hatten noch eine weitere ihrer vielen Obsessionen enthüllt. Er hatte gehofft, dass sie ihn durchs Château geleiten würde – und dort vorn, neben dem mit einem Ziergiebel versehenen Durchgang zu einem weiteren der vielen Räume, hing, von zwei kleinen Halogenspots angestrahlt, tatsächlich das Porträt.
Genau dort, wo man es ihm gesagt hatte.
Er sah das Bild an. Eine lange, hässliche Nase. Schräg gestellte, tief liegende Augen, die listig zur Seite blickten. Ein kräftiger Kiefer. Ein vorspringendes Kinn. Ein kegelförmiger Hut bedeckte einen nahezu kahlen Schädel, durch den der Dargestellte wie ein Papst oder ein Kardinal aussah. Aber er war mehr gewesen.
»Louis XI.«, sagte er und zeigte dabei auf das Bild.
Larocque blieb stehen. »Sie bewundern ihn?«
»Wie hieß es noch über ihn? Vom einfachen Volk geliebt, von den Großen gehasst, von seinen Feinden gefürchtet und in ganz Europa geachtet. Er war ein König. «
»Keiner weiß, ob das Bild wirklich authentisch ist. Aber es hat eine eigentümliche Qualität, finden Sie nicht?«
Er rief sich die teils theatralischen, teils abstoßenden Dinge in Erinnerung, die er über Ludwig XI. gehört hatte. Er hatte von 1461 bis 1483 geherrscht und es geschafft, als legendäre Gestalt zu gelten. Tatsächlich war er aber ein skrupelloser Mensch gewesen, hatte offen gegen seinen Vater rebelliert, seine Frau hundsgemein behandelt, nur wenigen Menschen vertraut und keine Gnade gekannt. Seine Leidenschaft war es gewesen, Frankreich nach dem katastrophalen Hundertjährigen Krieg zu neuer Macht zu verhelfen. Unermüdlich hatte er Ränke geschmiedet, intrigiert und bestochen, um das, was verloren gegangen war, wieder unter einer einzigen Krone zu sammeln.
Und er hatte Erfolg gehabt.
Was ihm einen geheiligten Platz in der französischen Geschichte garantierte.
»Er war einer der ersten Herrscher, die die Macht des Geldes begriffen«, sagte er. »Er hat Menschen lieber gekauft als bekämpft.«
»Sie haben ihn studiert«, meinte sie eindeutig beeindruckt. »Er hat die Bedeutung des Handels als Werkzeug der Politik begriffen und das Fundament des modernen Nationalstaats gelegt. Ein Staat, in dem die Wirtschaft schließlich wichtiger sein würde als die Armee.«
Sie zeigte nach vorn und sie betraten den nächsten Raum. Dieser hatte eine warme Ledertapete, und die Fenster waren mit portweinroten Vorhängen verhängt. In einem beeindruckenden Renaissance-Kamin brannte kein Feuer. Es standen kaum Möbel in dem Zimmer, abgesehen von einigen Polsterstühlen und Holztischen. In der Mitte des Raums stand eine Vitrine aus Glas und Edelstahl, die nicht zu diesem antiken Zimmer passte.
»Napoleons Einmarsch in Ägypten 1789 war ein militärisches und politisches Fiasko«, erklärte sie. »Die Französische Republik schickte ihren größten General als Eroberer dorthin, und tatsächlich eroberte er das Land. Aber Ägypten zu regieren war eine ganz andere Angelegenheit. Darin blieb Napoleon erfolglos. Es lässt sich jedoch nicht
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