Cotton Malone 05 - Der Korse
durch den hohen, sonnenerleuchteten Ausstellungsraum, in dem die Schüsse gefallen waren, zu dem erschlafften Mann im blauen Blazer, der, mit dem Gesicht nach unten, blutend am Boden lag.
Sam kniete sich hin.
Die Augen starrten glasig und fast unbewegt in die Ferne. Sam hatte nie zuvor jemanden gesehen, der eine Schusswunde erhalten hatte. Einen Toten hatte er allerdings schon gesehen. Gestern Nacht. Aber dieser Mann hier lebte noch.
Aufmerksam sah Sam sich um und registrierte weitere Kapitelle Statuen und Skulpturen. Und außerdem zwei Ausgänge – der eine war eine mit einer Stahlhaspe geschlossene Tür, der andere ein offener Durchgang, der in einen fensterlosen Raum führte. An dessen hinterer Wand hing ein Bildteppich, und eine Treppe führte nach oben.
Alle Besucher waren hinausgestürmt, und das Museum lag jetzt beängstigend still da. Er fragte sich, wo das Sicherheitspersonal, andere Angestellte oder die Polizei blieben. Die Ordnungskräfte waren doch gewiss gerufen worden.
Wo waren nur alle?
Er hörte Schritte. Sie kamen auf ihn zu. Von hinten, wo Malone und er hergekommen waren und wohin Malone wieder verschwunden war.
Er wollte nicht, dass man ihn aufhielt. Er wollte bei dem, was jetzt geschah, dabei sein.
»Gleich kommt Hilfe«, sagte er zu dem am Boden liegenden Mann.
Dann rannte er in den Nebenraum und eilte die Treppe zum Obergeschoss hinauf.
Malone kehrte in den Museums-Shop zurück und schob sich durch das Gewühl von Menschen, die unter lautem Geschrei zum Ausgang des Museums drängten.
Aufgeregte Stimmen in mehreren Sprachen hallten durch den Raum.
Er quetschte sich durch, verließ den Museums-Shop und betrat den Nachbarraum, der laut Museumsbroschüre Platz für Gepäckschließfächer bot und in dem es eine Treppe gab, über die die Besucher normalerweise vom oberen Stockwerk herunterkamen. Oben angekommen, würde er den Weg in umgekehrter Richtung gehen und Foddrells Verfolger Brettfresse und Bullterrier im Museum abfangen.
Er flitzte die Holztreppe, zwei Stufen auf einmal nehmend, hinauf und betrat einen menschenleeren Saal, in dem Rüstungen, Messer und Schwerter ausgestellt waren. Eine der Wände war mit einem Gobelin geschmückt, der eine Jagdszene darstellte. Alle Glasvitrinen waren mit Schlössern gesichert. Er brauchte eine Waffe und hoffte, dass das Museum Verständnis haben würde.
Er packte einen Stuhl, der an der Wand stand, und rammte ein Metallbein in die Vitrine.
Glasscherben fielen klirrend zu Boden.
Er warf den Stuhl beiseite, griff in die Vitrine und holte eines der Kurzschwerter heraus. Die Klinge war geschliffen, wahrscheinlich der optischen Wirkung des Ausstellungsstücks wegen. Eine Karte in der Vitrine informierte die Besucher darüber, dass es sich um eine Waffe aus dem sechzehnten Jahrhundert handelte. Außerdem nahm er einen Schild, der aus dem fünfzehnten Jahrhundert stammte.
Sowohl das Schwert als auch der Schild waren in ausgezeichnetem Zustand.
Er packte beides und sah nun aus wie ein Gladiator, bereit, in die Arena zu treten.
Besser als nichts, überlegte er.
Eine Hand auf das glatte Messinggeländer gelegt, rannte Sam die Treppe hinauf. Auf dem Treppenabsatz blieb er lauschend stehen und stieg dann die letzten Stufen zum obersten Stockwerk des Museums hinauf.
Es war nichts zu hören. Nicht einmal von unten.
Mit leisen Schritten bewegte er sich vorwärts, die rechte Hand fest auf das Geländer gelegt. Er fragte sich, was er tun sollte. Denn er war unbewaffnet und hatte schreckliche Angst, aber Malone würde vielleicht Hilfe brauchen, genau wie gestern Nacht im Bücherladen.
Und Agenten halfen einander.
Er kam oben an.
Links von ihm lag ein großer Torbogen, der in einen hohen Raum mit blutroten Wänden führte. Unmittelbar vor ihm war der Eingang zu einer Ausstellung namens LA DAME À LA LICORNE.
Die Dame mit dem Einhorn.
Er blieb stehen und spähte vorsichtig am Torbogen vorbei in den roten Raum.
Drei Schüsse fielen.
Nur Zentimeter von seinem Gesicht entfernt prallten Kugeln vom Stein ab und wirbelten Staub auf. Er zuckte zurück.
Eine schlechte Idee.
Noch eine Kugel flog in seine Richtung. Rechts von ihm beim Treppenabsatz zerbrach ein Fenster.
»He«, hörte er fast flüsternd eine Stimme.
Sein Blick schoss nach rechts, und er erblickte die Frau, die vorhin mit ihrem Schrei das Chaos ausgelöst hatte, in der Nische des Eingangs zur Ausstellung der Dame mit dem Einhorn. Ihre Augen glänzten wach. Auf ihren beiden offenen
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