Cotton Malone 05 - Der Korse
Napoleon war jedoch von ihnen fasziniert. Die goldenen Bienen auf seinem Krönungsmantel sind ihren Gebräuchen entlehnt. Außerdem hielten die Merowinger viel davon, Beute zu horten. Sie plünderten die eroberten Länder, und ihr König war dafür verantwortlich, den Reichtum unter seinen Gefolgsleuten aufzuteilen. Man erwartete von ihm als Anführer, dass er sich von den Früchten seiner Eroberungen selbst unterhielt. Diese Idee der königlichen Autarkie wahrte vom fünften bis zum fünfzehnten Jahrhundert. Im neunzehnten Jahrhundert hat Napoleon sie wieder aufgegriffen.«
»Meinen Sie, dass das Merowingerbuch zu dem Schatz führen könnte, hinter dem Ashby her ist?«
»Das wissen wir erst, wenn wir es sehen.«
»Gibt es das Buch denn noch?«
Solange die beiden sich im Arbeitszimmer befunden hatten, hatte Caroline Dodd Ashby den Ort, wo das Buch zu finden war, nicht genannt. Vielmehr hatte sie ihn mit dieser Information geneckt und ihn gezwungen, darauf bis nach ihrem Schäferstündchen zu warten. Leider war es Thorvaldsens Privatdetektiven nie gelungen, Ashbys Schlafzimmer erfolgreich zu verwanzen.
Murad lächelte. »Das Buch existiert noch. Das habe ich vor kurzem überprüft. Es befindet sich im Hôtel des Invalides, wo Napoleon begraben liegt, und wird dort ausgestellt. Es gehörte zum Nachlass, den Saint-Denis der Stadt Sens im Jahr 1856 vermacht hat. Sens hat diese Bücher schließlich der französischen Regierung übergeben. Die meisten Bände sind 1871 beim Brand des Tuilerien-Palasts zerstört worden. Was gerettet wurde, kam nach dem Zweiten Weltkrieg in Les Invalides. Zum Glück hat das Merowingerbuch den Brand überstanden.«
»Können wir es uns ansehen?«
»Nicht ohne eine Vielzahl von Fragen zu beantworten, die Sie mit Sicherheit nicht beantworten wollen. Die Franzosen hüten ihr Kulturerbe geradezu besessen. Ich habe mich bei einem Kollegen von mir erkundigt, der mir sagte, das Buch werde im Museumsteil vom Hôtel des Invalides ausgestellt. Aber dieser Flügel ist derzeit wegen Renovierungsarbeiten geschlossen.«
Thorvaldsen begriff, welche Hindernisse das bedeutete – Kameras, Tore und Sicherheitspersonal. Aber er wusste, dass Graham Ashby das Buch in seinen Besitz bringen wollte.
»Halten Sie sich bitte in nächster Zeit zu meiner Verfügung«, forderte er Murad auf.
Der Professor trank einen Schluck Whisky. »Hier entwickelt sich etwas ganz Außerordentliches. Napoleon wollte eindeutig, dass sein Sohn seinen Privatschatz bekam. Er hat diesen Hort mit viel Aufwand erworben, genau wie ein merowingischer König. Aber anders als ein Merowinger und mehr wie ein moderner Despot hat er ihn dann an einem Ort versteckt, den nur er kannte.«
Thorvaldsen begriff, wie verlockend ein solcher Schatz für jedermann war.
»Nachdem Napoleon sicher auf St. Helena festsaß, behaupteten englische Zeitungen, er habe ein großes Vermögen beiseitegeschafft.« Murad lächelte. »Da er nun einmal Napoleon war, schlug er aus dem Exil zurück und veröffentlichte eine Liste dessen, was er die ›wahren Schätze‹ seiner Herrschaftszeit nannte. Der Louvre, die greniers publics, die Banque de France, die Pariser Wasserversorgung, Abwasserkanäle und all die anderen vielfältigen Verbesserungen. Er war kein Leisetreter, das muss man ihm lassen.«
Wohl wahr.
»Können Sie sich vorstellen, was alles in diesem verschollenen Hort ruhen könnte?«, fragte Murad. »Es gibt Tausende von Kunstobjekten, die Napoleon geraubt hat und die seitdem verschwunden sind. Ohne auch nur die geplünderten Staatsschätze und Privatvermögen zu erwähnen. Es könnte sich um ungeheure Mengen von Gold und Silber handeln. Er hat das Geheimnis des Schatzverstecks mit ins Grab genommen, aber seinem treuesten Diener, Louis Etienne Saint-Denis, vierhundert Bücher anvertraut, darunter eines, das er namentlich hervorhob. Allerdings bezweifle ich, dass Saint-Denis ahnte, was das bedeutete. Er tat einfach nur, was sein Kaiser von ihm verlangte. Nachdem Napoleons Sohn 1832 starb, wurden die Bücher bedeutungslos.«
»Nicht für Pozzo di Borgo«, erklärte Thorvaldsen.
Murad hatte ihn vollständig über Eliza Larocques geschätzten Ahnen und seine lebenslange Vendetta gegen Napoleon aufgeklärt.
»Aber der hat das Rätsel nie gelöst«, hielt Murad dagegen. Nein, das war di Borgo nicht gelungen. Aber eine ferne Erbin arbeitete hart daran, diesen Fehler gutzumachen. Und Ashby kam nach Paris. Daher wusste Thorvaldsen, was zu tun war.
»Ich
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