Cotton Reloaded - 12: Survival (German Edition)
ausgemergelten Körper eine angemessene Menge Fast Food zukommen ließ.
Cotton versuchte, sich zu entspannen und Abstand zu gewinnen. Mit seinem Dreitagebart und den ungekämmten Haaren sah er aus wie nach einem Undercovereinsatz in der örtlichen Junkie-Szene. Für Notfälle wie diesen verwahrte er ein Nassrasurset in seinem Schreibtisch. Er rasierte sich auf der Herrentoilette. Trotz des Nickerchens im Helikopter fühlte er sich wie zerschlagen. Sobald er seine Aussage getätigt hatte, würde ihn nichts mehr von seinem Bett fernhalten, da war er sicher. Doch er irrte sich.
Plötzlich ging die Toilettentür auf. Cotton sah im Spiegel, wie Decker auf ihn zukam.
»Ich glaube, Sie haben sich in der Tür geirrt«, sagte er, während er sich die Reste vom Schaum abwusch.
»Ich habe Neuigkeiten.« Sie blieb hinter ihm stehen.
Er drehte sich zu ihr um. »Und welche?«
»Wir haben die Frau.«
10
JFK Airport, kurz nach 20 Uhr. In weniger als zwei Stunden startete Flug AA372 mit Ziel Buenos Aires. In Argentinien wollte Lisa Harris ein neues Leben anzufangen. Ein Leben, in dem es ihr an nichts fehlen würde.
Arglos, sorglos und glücklich saß sie in einer Cafeteria des Abflugterminals und nippte an einem Caffè Latte. Im Nachhinein überraschte es die Assistentin von Dr. Mills noch immer, wie wenig Überwindung sie der Geheimnisverrat und der Vertrauensbruch an ihrer Arbeitgeberin gekostet hatten. Oder wie reibungslos die Manipulation der Namen auf der Teilnehmerliste des Survival-Projekts des FBI gelaufen war. Dass sie dafür ihre Integrität an kriminelle Elemente verkaufen musste, hatte ihr keine schlaflosen Nächte bereitet. Für Gewissensbisse war die Bezahlung zu gut gewesen.
Von dem Geld hatte Lisa Harris sich als Erstes das sündhaft teure Designerkleid gekauft, das sie jetzt trug. So eine Garderobe hätte sie sich von ihrem Assistentinnengehalt niemals leisten können. Doch jetzt war sie eine wohlhabende Frau und wollte ihr Erscheinungsbild diesem Status anpassen.
Auf dem Stuhl neben ihr stand ein abschließbarer Metallkoffer. Mehr Gepäck hatte sie nicht dabei. Mehr war auch nicht vonnöten. Der Koffer enthielt alles, was sie für ein neues, sorgenfreies Leben brauchte: fünf Millionen Dollar in bar. Der Judaslohn für ihren Geheimnisverrat.
Über Lautsprecher wurde ihr Flug aufgerufen. Sie ergriff den Metallkoffer und verließ die Cafeteria. Auf dem Weg zum Flugsteig stahl sich ein Dauerlächeln in ihr Gesicht. Es gefror schlagartig, als sich ihr Cotton und Decker in den Weg stellten.
Aufgrund einer Nachrichtensperre des FBI bezüglich Pablo Hernandos Verhaftung wusste Lisa Harris nichts von dessen Tod. Genauso wenig wie sie etwas davon ahnte, dass drei FBI-Agents das Massaker bei dem Survival-Training überlebt hatten.
»Ms. Harris, Sie sind verhaftet«, sagte Decker mit frostiger Stimme. »Ich lese Ihnen Ihre Rechte aber nicht vor, weil Sie in meinen Augen jedes Privileg auf diese Rechte verloren haben. Special Agent Cotton, würden Sie das bitte übernehmen?«
»W-Was?«, stieß Harris hervor.
Cotton leierte den Spruch herunter, dass die Festgenommene das Recht habe, ihre Aussage zu verweigern, dass alles, was sie sage, vor Gericht gegen sie verwendet werden könne, und so weiter.
»Folgen Sie uns bitte zu unserem Wagen«, forderte er sie abschließend auf, wobei er ihr den Koffer aus der Hand nahm. »Was dagegen, wenn ich den trage?«
Entsetzt griff Harris nach ihrem Gepäckstück, doch Cotton entzog es mit einer raschen Bewegung ihrer Reichweite.
»Ich wüsste nicht, was ich Strafbares getan hätte«, stieß sie hervor.
Cotton blickte sie an, die Stirn gefurcht. Auf ihrem Gesicht spiegelte sich so viel Unaufrichtigkeit, dass es beinahe schon wehtat.
Entsprechend quittierte er ihre Aussage mit einem bitteren Lächeln. »Sie haben mit Dr. Mills zusammengearbeitet und waren ihre engste Vertraute.«
»Ist das ein Verbrechen?«
»Keineswegs, solange Sie dieses Vertrauen nicht missbraucht und Staatsgeheimnisse verraten hätten«, erwiderte er. »Aber genau das haben Sie getan. Deswegen wird Anklage wegen Beihilfe zum Mord in zwölf Fällen und zum versuchten Mord in drei Fällen gegen Sie erhoben.«
»Sind Sie verrückt?«, rief Harris. »Ich habe niemanden umgebracht!«
Als Antwort bekam sie nur Cottons verächtlichen Blick.
Äußerlich die Ruhe selbst, erlaubte sich Decker eine kleine Rechtsbelehrung: »Sie haben die zwölf FBI-Agents in den Wäldern vielleicht nicht eigenhändig
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