Couchgeflüster
… Ich versteh einfach nicht, warum du dir das immer noch gefallen lässt.»
«Na ja …», antworte ich schulterzuckend. «Sie wirkt in letzter Zeit ungewöhnlich gestresst und ist bestimmt nur deshalb so schnell wieder abgerauscht, weil sie viel um die Ohren hat. Aber mit Phillip und seinem Kollegen waren wir immerhin noch zu viert, und das war für mein bisschen Kram doch völlig ausreichend.»
«Mmm …», murmelt Britta unkonzentriert und blickt wieder auf ihren Computer.
Also verzieh ich mich lieber in mein Zimmer, damit sie ungestört weiterarbeiten kann.
Obwohl ich inständig hoffe, dass sich Britta in puncto Jacobi täuscht, bin ich jeden Tag aufs Neue glücklich, eine Freundin zu haben, die mich gegen ein paar lächerliche Trainingsstunden in ihrer Luxuswohnung aufgenommen hat. Bis jetzt hat sie allerdings kaum etwas von ihrer «Miete» kassiert. Gleich nachdem ich bei ihr eingezogen war, ist sie für eine Woche nach Hamburg abgedüst, um Darsteller für einen großen Kinofilm zu casten. Meine anfänglichen Bedenken, nie wieder ausschlafen zu können, haben sich also nicht bewahrheitet. Auch an die langen U-Bahn -Fahrten ins Studio habe ich mich bereits gewöhnt. Dennoch muss ich jetzt früher aufstehen.
Damit ich aber auf keinen Fall verschlafe, habe ich mir noch einen zweiten Wecker angeschafft. Einen von diesen altmodischen Dingern, die so unerträglich laut rappeln. Zur Sicherheit habe ich ihn ganz oben ins Regal gestellt, auf einen mit Münzen gefüllten Porzellanteller.
Doch heute wird keiner meine wohlverdiente Sonntagsruhe stören. Ich werde den Rest des freien Tages im Bett genießen und mir keine Sorgen über Katastrophen machen, die frühestens in vier Wochen eintreten.
Ich lasse mich aufs Bett fallen, blinzle träge in die hereinscheinende Sonne, lausche dem Vogelgezwitscher und stelle mir vor, wie schön ein Sonntagsausflug an einen See wäre. Sofort drängt sich mir wieder das Gesicht von Ben auf. Mit aller Macht fixiere ich daher einen anderen positiven Gedanken, der seit ein paar Tagen durch mein krauses Gehirn saust: Nelly Nitsche, Kantstraße. Das hat doch was Philosophisches!
Das durchdringende Schrillen des Handys unterbricht meine Gedanken. Auf dem Display leuchtet der Name meines Bruders auf.
Komisch, unser nächstes Familienessen ist doch erst nächste Woche Sonntag.
«Jemand gestorben?», scherze ich launig.
«Was soll der Scheiß?», schnauzt er mich an. «Ich rufe wegen Mama an. Es geht ihr nicht gut. Ich glaube, sie hat was mit den Nerven.»
«Wie bitte?» Ich kann nicht glauben, was ich da höre.
«Mit! Den! Nerven!» Phillip betont jedes einzelne Wort, als wäre ich bescheuert.
Das ist ein ganz schlechter Witz: Ella Nitsche, die erfahrene Psychotherapeutin, dreht durch … So ein Quatsch! Es ist wohl eher mein Bruder, der nicht mehr alle Tassen auf dem Brett hat. «Wie kommst du denn auf diese absurde Idee?»
«Weil sich Mama höchst sonderbar verhält», erklärt er mir. «Als ich gestern spät nachts nach Hause kam, geisterte sie im Bademantel durch die Wohnung. Um zwei Uhr morgens!»
«Mmm, das ist allerdings sonderbar», stimme ich meinem Bruder zu. Unsere Mutter geht nämlich immer vor elf ins Bett. Sie vertritt die überkommene Ansicht, dass nur der Schlaf vor Mitternacht wirklich Erholung brächte.
«Aber es kam noch schlimmer», seufzt Phillip. «Sie schien mich gar nicht richtig wahrzunehmen, stellte sich in der Küche ans Spülbecken, hielt die Hände unter den laufenden Wasserhahn und murmelte unverständliches Zeug. Ich –»
«Das finde ich jetzt aber noch nicht sooo merkwürdig», falle ich Phillip ins Wort. «Ich plappere auch schon mal vor mich hin. Deshalb ist man doch nicht gleich reif für die Klapse.»
Ein hämisches Lachen ist die Antwort. «Ja, bei dir fände ich das auch nicht weiter auffällig, Nelly. Aber bei Mama ist das sehr ungewöhnlich. Außerdem lacht sie immer wiederplötzlich laut auf, irgendwie total hysterisch. Ich glaube, dass sie die ganze Nacht nicht im Bett war. Als ich heute Morgen aufgestanden bin, hatte sie noch denselben Bademantel an und lief weiter ziellos in der Wohnung umher.»
«Tja, das ist tatsächlich etwas merkwürdig, aber –»
«Du musst sofort herkommen!», fordert mein Bruder, und seine Stimme klingt ungewohnt drängend.
Unwillkürlich richte ich mich aus meinen Kissen auf. «Um was zu tun?» Ich meine, natürlich bin ich jederzeit bereit, meiner Mutter zu helfen, wenn sie krank
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