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Couchgeflüster

Couchgeflüster

Titel: Couchgeflüster Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mira Becker
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psychologischen Jugendberatung tätig. Um diese Termine will sich Tessa kümmern.
    Tja, nun werde ich in den nächsten Wochen also wie eine fleißige Arbeitsbiene am Vormittag meine zwei Yogastunden geben, dann in die Praxis hetzen und am späten Nachmittag wieder zurück ins Studio sausen. Die Fünf-Uhr-Stunde muss ich leider streichen. Dafür habe ich mich jetzt doch durchgerungen, in Zukunft am Sonntagvormittag zu unterrichten.
     
    Montagmittag betrete ich dann zum ersten Mal die Praxis von Dr.   Ella Nitsche, als deren «Assistentin». Ich habe mir dafür extra passende Klamotten von Mama ausgeliehen. Tessa hatte mir nämlich nahegelegt, mich ordentlich zu kleiden, falls unverhofft ein Patient vor der Tür stünde. In meinen eigenen Sachen könne man mich sonst für die Putzhilfe halten.
    Ein enger grauer Rock und eine dazu passende hellgraue Seidenbluse erscheinen mir akzeptabel. Da ich etwas kleiner und schlanker als Mama bin, sind mir die Blusenärmel zu lang und der Rock eine Nummer zu groß. Kurzentschlossen schlage ich die Ärmelmanschetten einmal um und schnüre den Rock mit einem schwarzen Gürtel in der Taille zusammen. Das Ganze ist zwar ziemlich unbequem, aber so müsste es gehen.
    Die für heute angesetzten Termine konnte ich bereitsgestern absagen. Gut, dass Mama gewohnheitsmäßig die Telefonnummern neben den Namen notiert. Nur bei einem Patienten lauschte ich einer Computerstimme, die Nummer sei nicht vergeben. Im Kalender steht für 14   Uhr der Name Reuther und daneben: r. a.
???
Keine Ahnung, was das bedeutet. Ich werde den Patienten also empfangen, die Situation erklären und Tessas Visitenkarte überreichen.
    Etwas mulmig ist mir schon dabei. Vielleicht bedeutet r. a. ja so was wie
radikale Aggressionen
? Ich meine, was mache ich, wenn er oder sie mir aus lauter Frust über die ausfallende Therapiesitzung an die Kehle springt?
    Durchatmen und bloß keine Panik aufkommen lassen, spreche ich mir Mut zu. Ich lege mir noch Mamas silberne Armbanduhr um und schlüpfe in ein Paar schwarze Slipper aus ihrem Schuhschrank. (Sogar ein Modemuffel wie ich weiß, dass grüne Flipflops unmöglich in einer Praxis aussähen.) Nur leider kann ich kaum darin laufen. Watscheln würde eher zutreffen. Ich beschließe daher, sie erst später anzuziehen. Meine krause Haarpracht stecke ich im Nacken mit Nadeln und Klammern zu einem strengen Knoten zusammen und betoniere das Ganze mit einer Ladung Haarspray.
    Als ich mein vollendetes Werk im Spiegel betrachte, muss ich grinsen. Puh! Ich sehe ziemlich verändert aus. Irgendwie so seriös. Und mindestens zehn Jahre älter. Jetzt muss ich nur noch Mamas Brille aufsetzen, und ich erfülle alle Klischees einer typischen Therapeutin, die eine eigene Kolumne in «Psychologie heute» schreibt. Aber das ist natürlich nebensächlich, da ich nicht vorhabe, Herrn oder Frau Reuther zu therapieren. Ich werde sie oder ihn noch im Flur abfertigen. Das dauert höchstens fünf Minuten, dann ist mein Job erledigt.Anschließend kann ich wieder in meine bequemen Latzhosen steigen.
    Doch Patient Reuther lässt auf sich warten. Ob Mama in so einem Fall die Stunde dennoch berechnet?
    Als die Klingel schrillt, rase ich in meinen Flipflops zur Tür. Während der Woche ist die Haustür nämlich nicht verschlossen, deshalb dürfte der Patient schon vor der Wohnungstür warten und –
    Ben!?
    Mir bleibt die Luft weg. Das kann doch nicht sein! Halluziniere ich etwa? Was will Ben denn in der Praxis meiner Mutter?
    In einem ersten Impuls schließe ich vor lauter Schreck die Augen. Könnte ja sein, dass ich mir das tatsächlich nur einbilde. Doch als ich sie wieder öffne, steht Ben immer noch da und lächelt mich irritiert, aber freundlich an. Er trägt einen sandfarbenen Sommeranzug, dazu ein rosa Hemd ohne Krawatte. Er sieht ein bisschen feingemacht aus, aber genauso süß, wie ich ihn in Erinnerung habe. Seine grünen Augen blitzen unverändert sexy, er ist rasiert und duftet nach Aftershave.
    Aber wie kommt er hierher?
    Hat er mich etwa gesucht? Will er sich entschuldigen? Aber woher sollte Ben wissen, dass ich hier bin? Moment mal   …
    Sollte er etwa Mamas Patient sein? Nein, das ist doch nicht möglich.
    Oder?
    Ben blickt mich fragend an. «Dr.   Nitsche?»
    Ach, du großer Sigmund Freud! Er ist der Zwei-Uhr-Patient! Und hält
mich
für die Therapeutin!
    Aber erkennt er mich denn nicht? Was ist bloß los mit ihm?
    Verunsichert mustert Ben mich eingehend. Seine Augen flackern nervös,

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