Couchgeflüster
ist. Aber ich finde, ungewöhnliches Benehmen oder eine schlaflose Nacht ist doch noch kein Grund zur Panik, oder? Und wer weiß, ob sie mein Auftauchen nicht noch mehr aufregen würde …
«Was ist denn das für eine Frage?», herrscht Phillip mich an.
«Reg dich nicht auf», versuche ich ihn zu beruhigen und springe schnaufend aus dem Bett. «Ich bin ja schon unterwegs.» Langsam habe ich den Verdacht, dass Phillip derjenige ist, der Hilfe braucht.
Seufzend lege ich auf, greife nach der Latzhose und einem Shirt, binde mir die Haare mit einem Stoffgummi zusammen, setze ein Käppi auf und sause los.
Als ich eine Stunde später völlig außer Atem in der Fasanenstraße auf die Nitsche-Klingel drücke, ertönt augenblicklich der Summer.
Phillip muss direkt an der Tür auf mich gewartet haben. Mit klopfendem Herzen sprinte ich in die dritte Etage.
«Na, endlich», empfängt er mich mit sorgenvoller Mine.
Mamas Liebling wirkt müde. Phillip hat dunkle Ringe unter den Augen, und das zerknitterte, weiße Hemd verstärktden übernächtigten Eindruck. Zwischen seinen Augenbrauen erkenne ich eine tiefe Falte, die mir jetzt doch ein bisschen Angst macht.
«Wie geht’s Mama?», erkundige ich mich. «Hat sie dir inzwischen gesagt, was los ist?»
«Nein. Sie scheint komplett neben sich zu stehen», murmelt Phillip verstört und schließt leise die Tür, als fürchte er, Mama könne uns hören.
Automatisch verfalle auch ich ins Flüstern. «Wo ist sie?»
«Im Bad. Geh hin und sieh dir das Drama selbst an», drängt er und schiebt mich dann durch den langen Flur.
Vorsichtig öffne ich die angelehnte Tür zum Bad – und presse mir beim Anblick meiner Mutter schockiert die Hand auf den Mund, um einen Schrei zu unterdrücken.
So zerfleddert habe ich sie noch nie gesehen. Ihr lachsfarbener Bademantel weist dunkle Flecken auf. Das Augen-Make-up ist verschmiert, und das sonst perfekt frisierte Haar hängt ihr strähnig ins Gesicht. So, wie Mama in dem weißen Marmorbad am antiken Säulenwaschbecken lehnt und mit halbgeöffneten Lidern in den Kristallspiegel starrt, sieht sie aus, als wäre sie einem Stummfilmdrama entsprungen.
«Mama, was hast du denn?», frage ich mit zittriger Stimme.
Ihre flackernden Augen suchen meinen Blick. Sie mustert mich, ohne mich wirklich anzusehen, und lacht kurz auf. «Dildos! Kistenweise Dildos!», ruft sie mit sich überschlagender Stimme und lässt den Kopf sinken.
Erschrocken schnappe ich nach Luft. Nicht, dass Mama prüde wäre. Aber sie legt Wert auf einen gepflegten Umgangston, und anstößiges Vokabular gehörte noch nie zu ihrem Wortschatz.
«Wir müssen sofort einen Arzt holen», raunzt mir Phillip ins Ohr und hält sich weiter wie ein ängstliches Kind hinter mir versteckt. «Sie scheint ernsthaft krank zu sein.»
«Ernsthaft krank?» Ich atme tief durch, ziehe die Badezimmertür wieder zu und benehme mich wie eine besonnene große Schwester. «Du dramatisierst, Bruderherz», erkläre ich betont ruhig, auch, um mich selbst zu beruhigen.
«Bei dir muss man wohl erst Schaum vor dem Mund haben, bevor du Hilfe holst, wie?», zischt er hinter vorgehaltener Hand.
Doch ich lasse mich nicht provozieren. Mir ist Mamas Zustand zwar auch nicht geheuer, aber Panik hilft jetzt niemandem. «Hat sie sich in den letzten Tagen vielleicht über etwas aufgeregt? Ein größeres Problem mit Patienten? Oder läuft die Praxis nicht mehr, und sie hat Existenzängste?»
«Keine Ahnung.» Phillip zuckt mit den Schultern. «Ich war viel unterwegs.»
Das hätte ich mir ja denken können. Was meinen Bruder nicht direkt betrifft, kriegt er auch nicht mit.
«Na gut, dann koche ich ihr jetzt erst mal einen starken Kaffee, der belebt», behaupte ich und marschiere Richtung Küche. «Denn Mama sieht aus, als könne sie eine Stärkung gebrauchen.»
«Kaffee???», kreischt Phillip und hält mich am Arm fest. «Ich fasse es nicht. Mama verfällt dem Wahnsinn, und du willst Kaffee kochen!»
Auf so einen überzogenen Schwachsinn antworte ich nicht. Ich mache mich frei und wende mich ab.
«Dann lass uns wenigstens Papa anrufen», jammert er und schlurft hinter mir her in die neu eingerichtete Küche. Vor einem Jahr hat Mama eine knallrote Einbauküchemit schwarzen Arbeitsflächen und modernen Geräten angeschafft.
Verwundert blicke ich Phillip an. «Es sind Ferien. Paps ist verreist, falls du das vergessen hast. Außerdem weißt du genau, wie allergisch Mama auf ihn reagiert. Die streiten doch nur,
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