Couchgeflüster
wenn sie zusammentreffen. Das wäre genau so, als wollte man einen Laktose-Allergiker mit heißer Milch kurieren.»
Meine Argumente lassen Phillip verstummen, doch er beobachtet lauernd, wie ich die chromglänzende Kaffeemaschine bediene und Tassen aus dem Schrank hole.
«Na gut», brummelt er dann gnädig, «versuchen wir es also mit Kaffee.»
Der plötzlich so milde Unterton verrät mir, dass er ebenfalls gerne ein Tässchen trinken würde. Er hat auch garantiert noch nichts im Magen. Phillip ist nämlich eine stinkfaule Zecke und glaubt, er müsse sich nur an den Tisch setzen, und schon wird ihm das Essen serviert.
Kurz darauf gelingt es mir tatsächlich, Mama aus dem Bad in die Küche zu locken. Wie eine fürsorgliche Krankenschwester fasse ich sie sanft am Arm, rede ihr leise zu und führe sie einfach in die Küche.
Einträchtig sitzen wir dann am Frühstückstisch. Mama rührt abwesend in ihrer Tasse und starrt dabei auf die Cognacflasche, die sie sich in der Nacht aus ihrem Behandlungszimmer geholt haben muss. Phillip streicht dick Leberwurst auf eine Scheibe Brot und sieht schon wieder etwas zuversichtlicher aus.
Ich versuche, unauffällig in Erfahrung zu bringen, was meine Mutter so aus der Bahn geworfen hat. «Wie war denn deine Woche?», frage ich sie und schenke noch etwas Kaffee nach.
Sie schweigt.
Durchatmen, sage ich mir und starte einen neuen Versuch. «Hast du Ärger mit Patienten gehabt?» Sie würde zwar niemals irgendwelche Details ausplaudern, aber sie könnte ja zumindest auf die Frage reagieren.
Sie schweigt immer noch.
«Mama, erzähl uns doch bitte, was dich so aufregt», sage ich nun ganz direkt und appelliere an ihren Mutterinstinkt. «Du machst uns Angst.»
Unsicher blickt sie auf. «Dildos, überall nur Dildos!», platzt es plötzlich wieder aus ihr heraus. Ihre Stimme kippt dabei in ein seltsam fremdes Krächzen, gleich darauf lacht sie schrill auf und wirft mit einer fahrigen Handbewegung ihre Tasse um. «Das muss man sich mal vorstellen! Hunderte von Dildos!»
Eilig wische ich die Kaffeepfütze mit einer Papierserviette auf. «Vielleicht … Vielleicht sollten wir doch einen Arzt holen, Phillip», gestehe ich zögernd ein.
Mein Bruder fischt eine Essiggurke aus dem Glas vor ihm und grinst mich triumphierend an, als hätten wir einen Wettstreit ausgefochten.
Ohne ihn jedoch weiter zu beachten, gehe ich in Mamas Büro, um zu telefonieren. Den Notarzt zu holen erscheint mir übertrieben. Aber ich werde Tante Tessa anrufen. Dr. Theresa Tokay ist eine Studienkollegin und enge Freundin meiner Mutter. Sie wird wissen, was zu tun ist. Denn beim Anblick eines fremden Arztes könnte Mama komplett ausflippen, und wer weiß, ob sie dann nicht in eine Nervenheilanstalt eingewiesen würde, aus der sie so schnell nicht wieder rauskommt.
9
Mama hatte tatsächlich einen lehrbuchmäßigen Nervenzusammenbruch. Jedenfalls war das Tessas Diagnose, und sie bestand darauf, unsere Mutter ins Park-Sanatorium zu bringen. Selbstverständlich sind Phillip und ich mitgefahren. Dass Mama tatsächlich durchgedreht sein sollte, fanden wir alarmierend.
Wie sich herausstellte, ist Tessa in dieser Klinik mit der halben Ärzteschaft befreundet, was eine Vorzugsbehandlung ermöglicht. Dennoch mussten wir eine Stunde warten, bis der Chefarzt uns endlich mitteilte, dass Mama nur überarbeitet wäre und dringend eine Auszeit brauche. Drei, vier Wochen Reha, und sie wäre wieder die Alte. Was es mit diesen geheimnisvollen Dildos auf sich hat, konnte er aber auch nicht herausfinden. Schade. Ich muss zugeben, dass es mich doch brennend interessiert, was hinter dem ominösen Ausraster meiner Mutter steckt.
Phillip und Tessa haben mehr oder weniger über meinen Kopf hinweg beschlossen, dass ich die Praxis übernehmen soll – jedenfalls das Telefon, nicht die Patienten. Die Praxis müsse unbedingt besetzt sein, meinte Tessa, die selbst stark eingebunden ist. Sonst bestünde die Gefahr, dass die Patienten zur Konkurrenz abwandern. Menschen in therapeutischer Behandlung seien schnell frustriert, wenn ihr Therapeut durch einen leblosen Anrufbeantworter ersetzt würde. Psychisch labile Menschen müsse man behutsam behandeln.
Pah! Als ob ich das nicht wüsste.
Der Telefondienst bleibt damit an mir hängen. Phillip kann seine Ausbildung unmöglich unterbrechen – hat er jedenfalls behauptet. Zum Glück behandelt Mama nur nachmittags und nur Privatpatienten. Vormittags ist sie ehrenamtlich bei einer
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