Couchgeflüster
lege mich zu Mama ins Sanatorium!
Aber im Moment muss ich gezwungenermaßen die Psychotante bleiben. Ben steht ja immer noch neben mir. Wie könnte ich da plötzlich behaupten, nicht Dr. Nitsche zu sein.
«Also, bis morgen», sagt er lächelnd und blickt mich seltsam erfreut an, als sei er stolz darauf, einer meiner Patienten zu sein. Dann wendet er sich ab und läuft die Treppen hinunter.
Die elegant gekleidete Frau mustert mich aus strahlend blauen Augen, als warte sie auf irgendeine Anweisung. Was bleibt mir also anderes übrig, als den Schwindel weiter durchzuziehen.
«Bitte schön, Frau … ähm?» Mit einer einladenden Geste bedeute ich ihr, einzutreten.
«Oh, entschuldigen Sie, Krüger mein Name. Jeanette Krüger. Ich wohne hier ganz in der Nähe, und da dachte ich so bei mir, dass ich doch gleich persönlich vorbeikommen könnte.» Sie plappert noch im Türrahmen drauflos. «Na ja, vielleicht haben Sie ja einen Termin frei. Bei mir wäre es nämlich dringend, Frau Doktor.»
Sie wechselt ständig von einem Fuß auf den anderen, als müsse sie vor allem dringend auf die Toilette.
Ich öffne die Wohnungstür weit und deute den Flur entlang.«Möchten Sie vielleicht erst mal das Badezimmer aufsuchen?», frage ich unbedarft.
Irritiert blickt mich Frau Krüger an, dann scheint sie zu kapieren. «Oh, ach so. Nee, nee. Ich muss nicht. Ich bin nur so schrecklich nervös, weil ich gerade versuche, einen heftigen Anfall auszuhalten. Genauer gesagt, ich versuche meiner Sucht nicht nachzugeben.»
Sucht? Etwa Drogen? Glaubt sie vielleicht, dass sich in der Praxis ein Giftschrank befindet, den sie ausrauben kann? Blankes Entsetzen packt mich.
Anscheinend sind mir meine Bedenken anzusehen. Denn Frau Krüger erklärt ganz lapidar: «Keine Bange, Frau Doktor.» Sie greift in ihre dunkellila Handtasche und zieht eine gleichfarbige Geldbörse hervor, die sie nun derart krampfhaft umfasst, dass in Sekundenschnelle ihre Fingerknöchel weiß hervortreten. «Das hilft schon mal.»
Augenblicklich erwacht meine Neugier. Was kann das für eine sonderbare Sucht sein, wo das Umklammern eines Portemonnaies die Symptome lindert?
Während ich Frau Krüger freundlich lächelnd den Flur entlang ins Sprechzimmer dirigiere, mustere ich sie unauffällig. Sogar ein unbedarfter Laie wie ich erkennt an ihrer ungewöhnlichen Kombination aus senffarbenem, knielangem Rock und raffiniert geschnittenem Seidentop mit Wasserfallausschnitt ihr sicheres Gespür für Mode. Ob sie ein Fashion-Victim ist?
«Warum setzen wir uns nicht», schlage ich vor und deute auf das Sofa im Beratungszimmer, «und Sie erzählen mir Genaueres über Ihre … ähm, Ihre …» Mist! Darf man das Wort Sucht den Patienten gegenüber überhaupt erwähnen, ohne einen Ausraster zu riskieren?
«Kaufsucht», hilft mir Frau Krüger auf die Sprünge. «Aber keine Bange, das ist nicht ansteckend.»
Kapiert! Jeanettes Leidenschaft fürs Shoppen ist also etwas außer Kontrolle geraten. Aber ist es nicht übertrieben, sich in psychotherapeutische Behandlung zu begeben, nur weil man gern einkaufen geht?
«Was für ein wunderhübscher Raum!», ruft Frau Krüger begeistert aus, steuert direkt auf die Samtcouch zu und stellt ihre Handtasche darauf ab. «Rot und Lila sind doch eine wunderschöne Kombination, finden Sie nicht? Das Sofa muss ich haben.»
Na, die Geldbörsen-Therapie kann man jetzt wohl knicken – das leuchtet sogar mir ein, obwohl ich in Sachen Psychologie noch Azubi bin. Ob ich an (oder sollte ich besser sagen, mit) Jeanette Krüger üben kann, wie man therapiert? Etwas Praxis würde mir bei Bens Flugangst weiterhelfen, und Jeanette dürfte es sicher nicht schaden. Kaufsucht ist schließlich keine lebensgefährliche Sucht, oder? Ihren exquisit aussehenden Klamotten nach zu urteilen, steht Frau Krüger auch nicht gerade am Rande des finanziellen Ruins. Ich frage mich, was die goldene Uhr mit dem schweren Gliederarmband wohl wert ist und ob der breite diamantbesetzte Reif an ihrer rechten Hand ein Ehering ist.
Möglichst unauffällig atme ich tief durch. «Setzen Sie sich doch erst mal, Frau Krüger.»
Wohlig seufzend lässt sie sich auf Mamas bestem Möbel nieder, lehnt sich zurück und legt die Beine hoch. «Ach, ist das gemütlich.»
«Ähm, ja, sehr schön», murmele ich irritiert und ziehe mir einen von den bequemeren Sesseln ans Kopfende des Sofas.Ganz so, wie man es aus Filmen kennt. Keine Ahnung, wie andere «Kollegen» das halten, aber in
Weitere Kostenlose Bücher