Couchgeflüster
Ben einfach nicht länger für mich behalten.
Britta kam gestern Abend erst spät nach Hause, und wir haben uns nicht mehr gesehen. Aber jetzt muss ich ihr unbedingt von diesem unglaublichen Zufall berichten. Von unserem traumhaften Abend im
Mädchen ohne Abitur
weiß sie natürlich längst. Auch dass Ben die zweite Verabredung am nächsten Tag hat platzenlassen.
«Du wirst dich aber doch nicht nochmal mit diesem Typen verabreden, oder?», nörgelt sie, als ich ihr erzähle, dass ich Ben wiedergesehen habe. «Erst einen auf romantisch machen und sich dann nie wieder melden. Der Typ geht doch gar nicht!» Sie nimmt Butter, Käse und Orangensaft aus dem Kühlschrank und legt alles auf den Tisch.
«Ben hat mich bei unserer zweiten Verabredung nicht sitzenlassen», korrigiere ich sie. «Er hat nur
vergessen
, dass wir verabredet waren.»
«Vergessen?», wiederholt Britta abfällig und sieht mich mit großen Augen an. «Nur, weil du selbst immer alles vergisst, Nelly Nitsche, darfst du einem Mann das noch lange nicht durchgehen lassen.»
«Nein, das würde ich auch nie tun. Aber in Bens Fall ist es etwas anderes», antworte ich selbstbewusst und berichte von Bens Auftauchen in Mamas Praxis, von seiner Flugangst,der Weißphobie und der retrograden Amnesie. «Und ich werde ihm helfen, sich zu erinnern!», schließe ich meinen Bericht.
Zweifelnd, als wäre ich eine Politikerin, die alles verspricht, nur um wiedergewählt zu werden, sieht Britta mich an. «Wie willst du das denn anstellen? Wenn sein Gedächtnis tatsächlich nicht mehr richtig funktioniert, ist das schließlich kein harmloser Schnupfen.»
«Ich habe keinen blassen Schimmer», gestehe ich, während ich die Kaffeemaschine bediene. «Aber mir wird schon was einfallen», seufze ich zuversichtlich. «Oder würdest du deinen Traummann einfach zu einer anderen Therapeutin schicken?»
Geräuschvoll verteilt Britta Teller und Tassen auf dem Tisch. «Was heißt hier
andere
Therapeutin. Das würde voraussetzen, du wärst eine. Aber du
bist
keine, Nelly!»
«Aber das weiß Ben doch nicht», entgegne ich trotzig. «Und es wird ihm schon nicht schaden, sich mit mir zu unterhalten. Außerdem werde ich mit der kaufsüchtigen Jeanette Krüger üben.»
«Wer ist das denn jetzt schon wieder?» Fassungslos schüttelt Britta den Kopf. «Psychotherapie ist doch keine Yogaübung, die man durch Wiederholungen erlernen kann, Nelly. Hast du mal überlegt, ob du dich nicht vielleicht strafbar machst? Und was passiert, wenn deine Mutter dahinterkommt?»
«Du bist viel zu rational», kontere ich, verteile Naturjoghurt in flache Schalen und träufle ein wenig Honig drüber. «Für die Liebe muss man kämpfen und –»
«Aber nicht mit stumpfen Waffen», unterbricht mich Britta mahnend. Dann hackt sie mit einer energischen Bewegungeiner Ananas den Blätterschopf ab und wirft ihn erbost in unseren Biomülleimer. «Wie soll das denn gehen, Nelly? Du hast doch gar keine Ahnung von der Materie!»
Gelassen zucke ich die Achseln. «Mir wird schon was einfallen, wie ich ihn sozusagen legal therapieren kann!»
Brittas Moralpredigt hat dennoch Spuren hinterlassen. Während der beiden Yogastunden am Vormittag kann ich mich kaum konzentrieren. Die Therapeutin in mir grübelt über die Seelenklempnerei nach. Allerdings kommt nichts Brauchbares dabei heraus, weil ich zwischendrin von meinen eigenen Yogakommandos abgelenkt werde.
Nach dem Unterricht eile ich sofort an meinen Computer, um zu sehen, ob ich im Netz ein paar hilfreiche Informationen finden kann. Während ich an meinem Pausenbrot und den Apfelschnitzen kaue, gebe ich den Begriff «retrograde Amnesie» ein und stoße auf Folgendes:
Als retrograde (rückwirkende) Amnesie bezeichnet man im Allgemeinen den Gedächtnisverlust für den Zeitraum vor dem Eintreten des schädigenden Ereignisses. Im Gedächtnis gespeicherte Bilder oder Zusammenhänge um den Zeitraum des Geschehens (sehr oft ist es ein Unfall oder ein traumatisches Erlebnis) können nicht ins Bewusstsein geholt werden.
Na, das wusste ich ja bereits aus dem Lexikon der Psychologie, denke ich frustriert. Ein interessanter Hinweis unter einem anderen Link bestätigt mich allerdings in meinem Vorhaben:
In den ersten zwei Jahren nach Eintreten des schädigenden Ereignisses ist eine Therapie besonders wichtig.
Egal, wie ausführlich die Texte zu diesem Thema auch sind, wirklich weiterhelfen können sie mir nicht. Aber woich nun schon mal dabei bin, zu recherchieren,
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