Couchgeflüster
Fingerschnippen beseitigen. «Sie haben eine Idee?» Ihre kornblumenblauen Augen glitzern hoffnungsvoll.
«Ähm, nun ja …» Ratlos zupfe ich an meinem Rock,schlage die Beine übereinander und schiebe die Brille auf meiner Nase zurecht. Alles reines Verzögerungsgetue, um einen Ausweg zu finden. «Also, bevor wir mit der eigentlichen Therapie beginnen, muss ich wissen, warum Sie so gerne einkaufen und warum Sie es plötzlich nicht mehr wollen.»
Obwohl Frau Krüger das Wort Kaufsucht selbst benutzt hat, will ich es bewusst vermeiden. Ich werde einfach das Gefühl nicht los, hier etwas Verbotenes zu tun. Aber vielleicht schaffe ich es ja, mich mit ihr wie mit einer Freundin zu unterhalten. Und es wird ja wohl erlaubt sein, einer Freundin in Not mit ein paar Ratschlägen zu helfen.
Als hätte ich sie nach ihren besten Shoppingadressen gefragt, gibt Jeanette Krüger bereitwillig Auskunft: «Ach, das ist kein Geheimnis. Shoppen machte mir einfach immer schon mächtig Spaß. Aber mein Mann, Hubert, möchte, dass ich mich behandeln lasse.
Entweder du gehst zu einem Therapeuten, oder ich lasse mich scheiden!,
hat er gedroht.»
Ich werfe ein überraschtes «Oh» ein.
«Genau so hab ich auch reagiert», berichtet Jeanette Krüger weiter. «Aber ich liebe mein Hubertchen, und deswegen ist es auch so dringend, Frau Doktor. Aber nicht, dass Sie glauben, wir könnten uns meine Sucht nicht leisten. Nein, Geld ist kein Thema. Mein Mann ist in der Baubranche, und
Mörtel
haben wir genug, wenn Sie verstehen, was ich meine.» Sie lacht schelmisch. «Hubert behauptet zwar immer, er könne gar nicht so schnell bauen, wie ich den Kies ausgebe. Am meisten stört ihn aber, dass ich die Sachen gar nicht brauche und oft nicht mal auspacke. Der Gute hat ja keine Ahnung! Bei Kaufsucht geht es ums Einkaufen und nicht ums Auspacken, richtig, Frau Doktor?»
«Mmm», brumme ich leise.
«Aber was verstehen Männer schon davon. Denen fehlt einfach das Shopping-Gen, nicht wahr? Und ich habe vermutlich ein XX L-Shopping -Gen. Aber das kann sich Hubert erst recht nicht vorstellen.»
Ein XX L-Shopping -Gen!? Hinter vorgehaltener Hand unterdrücke ich ein Kichern und schiebe schnell die nächste Frage hinterher: «Sie packen die Sachen also nicht aus, Frau Krüger?»
«Wie gesagt: Es geht ja nur ums Kaufen», erklärt Frau Krüger mit vibrierender Stimme. «Es beginnt mit dem Suchen. Nach einem neuen Kleidungsstück zum Beispiel. Da überfällt mich erst so ein leichtes Kribbeln, das sich beim Anprobieren langsam zur Euphorie steigert. An der Kasse habe ich dann so ein orgastisches Gefühl im ganzen Körper. Das hält so lange, bis ich mit der Tüte in der Hand den Laden verlasse. Aber kaum stelle ich die zu Hause ab, ist der Spaß vorbei. Und am nächsten Tag muss ich einfach wieder los. Die Sachen auszupacken wäre stinklangweilig. Oft hab ich auch schon wieder vergessen, was ich gekauft habe.»
Mist, der Fall scheint doch komplizierter als gedacht. Aber aufgeben kommt nicht in Frage. Mir wird schon noch etwas einfallen. Und im schlimmsten aller Fälle überweise ich Jeanette Krüger eben zu Tessa. Aber für heute habe ich genug von Phobien, Flugangst und Kaufsucht. Mir schwirrt der Kopf.
Erschöpft werfe ich einen Blick auf Mamas Armbanduhr und stelle entsetzt fest, dass ich langsam los muss. In einer Stunde soll ich auf der Matte liegen und Yoga unterrichten!
«Tja, die Zeit für unser Gespräch ist leider um, Frau Krüger», verkünde ich, als würde ich diesen Satz zu jeder vollen Stunde sagen.
Träge erhebt sich meine neue Patientin vom Sofa, zieht ihren Rock zurecht und fährt sich durchs kinnlange Haar. «Wann darf ich wiederkommen, Frau Doktor?»
Ich trete an den Schreibtisch und trage mit Bleistift schnell noch Bens Termin für morgen in Mamas Terminkalender ein. Nach seiner Stunde könnte ich dann wieder Jeanette therapieren. «Morgen um drei, wenn es Ihnen passt», biete ich an.
«Hervorragend! Das passt hervorragend.» Sie klingt so begeistert, als wäre es eine Verabredung zum XX L-Shoppen .
Puh! Jetzt habe ich zwei Jobs gleichzeitig. Urlaub wird das keiner. Aber für Ben nehme ich den Stress auf mich. Egal, wie lange es dauert. Ich will, dass er sich wieder an mich erinnert – und an uns als verliebtes Paar. Und ich will herausfinden, wer oder was unseren wunderschönen Abend aus seiner Erinnerung gelöscht hat.
11
Am nächsten Morgen bei den Vorbereitungen für das Frühstück kann ich das zufällige Treffen mit
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