Couchgeflüster
auch körperlich anzustrengen.
«Möchtest du vielleicht eine kleine Pause einlegen und etwas trinken?», frage ich unsicher, denn ich weiß nicht, wie ich mich verhalten soll. Auch mir würde eine Unterbrechung guttun.
«Sehr gerne …», antwortet Ben aufatmend. «Ich könnte einen starken Kaffee vertragen.»
«Dann ruh dich einen Moment aus und versuche, dich auf dem Sofa zu entspannen», schlage ich vor und verschwinde in die Küche.
Während ich die Kaffeemaschine präpariere, beschäftigt mich vor allem eine Frage: Was kann ich tun, damit Ben sich an mich erinnert und nicht an diese Frau.
Ohne eine zufriedenstellende Antwort darauf gefunden zu haben, kehre ich kurz darauf mit dem Kaffee-Tablett ins Behandlungszimmer zurück.
«Hab ich schon erzählt, dass die Lieblingsfarbe dieser Wahnsinnigen Weiß ist?», fragt Ben, als ich den Raum betrete.
Ich sehe ihn mit großen Augen an. «Mmm … Dadurch könntest du deine Weiß-Phobie entwickelt haben», folgere ich und bin froh darüber, nicht mein weißes Kleid angezogen zu haben.
Ben zuckt beinahe hilflos mit den Schultern. «Ihre gesamte Wohnung ist komplett weiß eingerichtet, sogar der Fußboden und die Türgriffe sind weiß. Sie fährt auch ein weißes Auto, und wenn sie nicht in der Uniform steckt, trägt sie nur weiße Klamotten.»
«Wie eine Schneekönigin», entfährt es mir, und ich verschütte beinahe den Kaffee beim Abstellen.
Ben verschränkt die Arme vor der Brust, als würde er frieren. «Das trifft es genau», murmelt er tonlos. «Sie ist eiskalt wie eine Schneekönigin … Jedenfalls hat sie mich irgendwann um ein klärendes Gespräch gebeten und mir versprochen, mich danach nie wieder zu belästigen. Und ich Idiot …» Er stockt und sucht meinen Blick.
«Du hast ihr geglaubt, und das finde ich menschlich», sage ich mitfühlend. «Aber wie ging die Sache weiter?», frage ich beiläufig, während ich Kaffee für uns einschenke.
«Das ist ja das Merkwürdige … Das Ende fehlt mir noch. Ich weiß einfach nicht, wie ich aus ihrer Eishöhle entkam.» Ben rührt etwas Zucker in seine Tasse und trinkt einen Schluck. «Oh, heiß!»
Mit einer fahrigen Bewegung will er die Tasse zurückstellen, verfehlt jedoch die Untertasse, und der Kaffee ergießt sich über den Schreibtisch und tropft auf seine Jeans. «Verdammt!»
Geistesgegenwärtig reiße ich einige Papiertücher aus der für Weinkrämpfe bereitliegenden Kleenexbox, wische die Pfütze auf und bagatellisiere das Malheur mit einem Lächeln. «Schon erledigt. War doch nur Kaffee.»
«Kaffee!» Mit einem Mal springt Ben vom Sofa auf, rennt im Zimmer auf und ab und schlägt sich dabei mit der Hand an die Stirn. «Genau, das war’s! Es war Kaffee! Ein lächerlicher kleiner Kaffeefleck!»
Der irre Ton in Bens Stimme gefällt mir gar nicht. «Bitte, Ben», versuche ich ihn zu beruhigen, «es ist wirklich nichts passiert. Der Schreibtisch hat es unbeschadet überstanden.» Demonstrativ wische ich mit der Hand nochmal über die glatte Oberfläche. «Sieht aus wie neu.»
Ben setzt sich wieder aufs Sofa und stiert kopfschüttelnd vor sich hin. «Ein winziger Fleck», flüstert er apathisch. «In Daumennagelgröße.»
«Daumennagelgröße», wiederhole ich in gewohnter Therapeutinnen-Manier, um ihm das Gefühl zu geben, ich hätte die Situation im Griff. In Wahrheit fühle ich mich vollkommen überfordert von seinem unerwartet heftigen Gefühlsausbruch. Was mache ich, wenn er jetzt komplett durchdreht? Muss ich dann einen Notarzt verständigen? Oder sollte ich lieber gleich Tante Tessa anrufen?
Durchatmen und bloß keine Panik, versuche ich mir selbst Mut zuzureden und spiele wieder gedankenverloren mit einer Haarsträhne.
Ben mustert mich eindringlich. Für einen kurzen Augenblick meine ich in seinen flackernden Augen zu erkennen, dass er sich an noch viel mehr erinnert als nur an die weiße Wohnung dieser Verrückten. Doch dann schüttelt er stumm den Kopf und sieht zur Seite.
«Und wie … wie ging es weiter?», frage ich zögernd.
Gedankenverloren fährt er sich durchs Haar, erhebt sich erneut und läuft wieder im Zimmer umher. Er wirkt plötzlich rastlos, und es dauert eine Weile, bis er sich gefangen hat. Mit einem Seufzer nimmt er auf einem der Thonet-Stühle Platz. Aufmerksam beobachtet er, wie ich die Haarsträhne um den Zeigefinger wickle, sie loslasse und von neuem beginne. Seine Augen flackern jetzt noch unruhiger als vorhin.
Plötzlich lächelt er mich
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