Couchgeflüster
die Türklingel mich aus meiner wirren Selbstanalyse reißt.
Vor der Wohnungstür steht ein riesiger Blumenstrauß mit zwei Beinen. Jedenfalls ist das in Zellophan gehüllte Gebinde beinahe größer als der Typ dahinter.
«Det Jemüse is für Dr. Nitsche», quäkt er jetzt und drückt mir die Blumen in die Hand.
«Ähm …» Bevor ich etwas erklären kann, hat der Bote schon seinen Block und einen Stift gezückt.
Um eine Urkundenfälschung zu vermeiden, unterschreibe ich den rosa Wisch nur mit meinem Nachnamen und trage das üppige Gebinde schnell in die Küche. Als ich die unzähligen blassrosa Pfingstrosen aus ihrer Zellophanhülle befreie, verströmen sie einen betörenden Duft. Wer meiner Mutter wohl so schöne Blumen schenkt?
Wie ich dann beim Lesen der beigefügten Karte feststelle, ist der Strauß von Jeanette Krüger.
Liebe Frau Doktor,
zu gerne wäre ich noch einmal persönlich bei Ihnen vorbeigekommen, um mich zu bedanken. Aber mein neuer Job, den ich ja Ihnen zu verdanken haben, nimmt momentan meine ganze Zeit in Anspruch. Die Arbeit macht mich vollends glücklich!
Wir haben zwar nie über Ihr Honorar gesprochen, aber ich weiß, was eine Therapeutenstunde kostet. Ich habe mich erkundigt. Meine Sucht wäre bestimmt eine weiterhin sehr teure Angelegenheit geworden. Deshalb bestehe ich darauf, dass Sie den beigefügten Scheck einlösen. Von Blumen allein kann ja keiner leben! (Die sind nur eine kleine Anerkennung für die Therapie.)
In großer Dankbarkeit
Ihre Jeanette Krüger
Ein Scheck?
Verwundert sehe ich im Kuvert nach. Da ist tatsächlich ein Blatt, das ich in der Aufregung wohl übersehen haben muss. Gespannt nehme ich den Scheck heraus und –
Fünftausend Euro!?
Verblüfft schnappe ich nach Luft. So viel Geld für zwei vergnügliche Plauderstündchen mit Jeanette? Das wäre ja ein Stundenlohn von … Ach, du meine Güte! Nein, das kann ich unmöglich annehmen. Das wäre ja …
Mir fehlen die Worte. Minutenlang starre ich auf die Fünf mit den drei Nullen dahinter. Doch die Zahl verändert sich nicht.
Fünftausend.
Puh! Dieser unverhoffte Geldregen könnte mich und mein Studio retten. Mit einem Schlag wäre ich meine Schulden bei Jacobi los und könnte sogar die nächsten zwei Mieten im Voraus zahlen!
Während ich in der Küche damit beschäftigt bin, meine Gedanken zu sortieren und die Pfingstrosen auf mehrere Vasen zu verteilen, klingelt mein Handy.
Eilig sause ich ins Sprechzimmer, wo das Ding auf dem Schreibtisch liegt.
Es ist Ben!
«Nelly, ein Glück, dass ich dich erreiche», keucht er atemlos.
Etwas in seiner gehetzten Stimme lässt mich aufhorchen. Er hört sich an, als würde er hinter vorgehaltener Hand sprechen. Auch der Lärmpegel im Hintergrund beunruhigt mich.
«Ben, geht es dir gut?», frage ich alarmiert.
«Ich bin so weit okay, mal abgesehen von –»
Er bricht ab. Dann höre ich eine weibliche Stimme aus dem Hintergrund, die seinen Namen ruft.
«Einen Moment noch, Vera, ich bin gleich –»
«Waaas?», entfährt es mir entsetzt. «Vera?»
«Du musst mir helfen, Nelly», flüstert Ben atemlos. «Veraist mir am Bahnhof über den Weg gelaufen und hat gedroht, eine Szene zu machen. Ich habe Angst, dass sie total durchdreht.»
Ach du großer Sigmund Freud! Das ist ja der Supergau! Wenn ich bloß wüsste, wie ich Ben helfen kann.
«Vielleicht ist es zu viel verlangt», stottert Ben. «Aber, bitte, Nelly, darf ich mit dieser Durchgeknallten vorbeikommen, und du erklärst ihr als Dr. Nitsche, was passiert ist? Mir glaubt sie nämlich kein Wort. Sie behauptet –»
«Ben, wo bleibst du denn?», ertönt es nun ziemlich ungeduldig aus dem Hintergrund.
«Also bis gleich.» Ben haucht einen Kuss ins Telefon. «Ich liebe dich, Nelly.»
«Ich dich auch», antworte ich völlig irritiert. Aber Ben hat schon aufgelegt.
Hilfe!
Mein Herz schlägt vor Aufregung gleich doppelt so schnell.
Eilig lege ich mein Handy weg und rase an Mamas Kleiderschrank. Nun muss ich mich also doch wieder in Dr. Ella Nitsche verwandeln. In Schlabbershirt und Latzhosen gebe ich ja wohl kaum eine glaubwürdige Therapeutin ab.
Unschlüssig stehe ich vor dem Schrank. Wie muss ich aussehen, damit ich selbstbewusst der Frau gegenübertreten kann, mit der Ben eine Affäre … Nein, gegen diesen schrecklichen Gedanken sträuben sich meine Gehirnwindungen.
Jedenfalls möchte ich nicht aussehen, als würde ich keinen Wert auf mein Äußeres legen. So viel Eitelkeit
Weitere Kostenlose Bücher