CRASH - Ins falsche Leben: Roman (German Edition)
schockierte: dass er geflucht hatte oder dass er den Hund vergessen hatte. Oder dass er in der Bibliothek gewesen war.
Alex wurde zum Hausaufgabenmachen in sein Zimmer verbannt. Natürlich erst, nachdem er Beagle zurückgebracht hatte, der vor der Bücherei eingepennt war und – was unter diesen Umständen nur verständlich war –Alex erneut zwickte, als der die Leine von der Stange knotete.
Die Hausaufgaben (in Französisch sollte Alex Sätze in die Vergangenheit, die Gegenwart und die Zukunft setzen) waren ziemlich leicht. Nach einer halben Stunde war er fertig. Jetzt konnte er den Rest des Abends ausführlich in Flips Zimmer herumschnüffeln. Er musste mehr über den Jungen herausfinden, mit dem er auf so verrückte Art und Weise verbunden war. Vielleicht entdeckte er irgendeinen Hinweis, etwas Ungewöhnliches in Flips Leben, in der Zeit unmittelbar vor dem »Wechsel«, wie Alex es inzwischen bei sich nannte. Soweit er sich erinnerte, hatte sich damals in seinem eigenen Leben nichts Außergewöhnliches ereignet.
Wobei »vor dem Wechsel« für Alex gestern war. Für Philip dagegen der letzte Dezember.
Alex machte den Computer wieder an. Auch wenn E-Mail und Internet ohne Passwort nicht zugänglich waren, konnte er doch wenigstens die Ordner
Meine Dokumente
,
Meine Musik
,
Meine Bilder
und den Stick aus der Schultasche durchforsten. Zeug für die Schule; eine Datei mit einer Liste der wichtigsten Kricketspieler aller Zeiten, eingeteilt in Kategorien (Bowler, Batsmen, Wicket-Keeper, Allrounder); Notizen für Hausaufgaben; die Kopie eines über ein Jahr alten Briefes, den Flip an einen gewissen Kevin Pietersen geschrieben hatte und in dem er ihn fragte, wie sich der Batsman am besten vor das Wicket stellt: in einer Linie mit dem rechten oder dem mittleren Stab oder irgendwo dazwischen.Alex hatte keine Ahnung, worum es ging. Flips Meine-Bilder-Ordner war leer, bis auf die Standard-Bildschirmhintergründe. Was die Musik auf dem PC anging – genau wie die auf Philips iPod und den CDs im Regal auf seinem Schreibtisch –, handelte es sich fast ausschließlich um Rap. Alex hätte sich eher einen Kebab-Spieß ins Trommelfell gerammt, als sich so etwas anzuhören.
Im Kalenderteil von Flips Planer fand sich nichts Auffälliges in den Tagen vor dem 23. Juni oder in der Zeit vor einem halben Jahr, als Alex den Abend bei David verbracht und dann nach Hause gerannt war. Alex durchsuchte das Zimmer, fand aber statt irgendwelchen Gemeinsamkeiten oder gar Verbindungen nur noch mehr Beweise für die Unterschiede zwischen ihm und Flip. Die wenigen Bücher waren fast alle Sachbücher: Sport, Wahre Kriminalfälle, mehrere Comic-Jahrbücher,
Windows für Dummies
, die Memoiren ehemaliger Soldaten von Spezialeinheiten. Im Schrank standen nagelneue Inliner, ein Kricketschläger, mehrere Golfschläger, ein Tennisschläger, unterschiedliche Bälle, Hanteln und –
bitte nicht!
– ein Skateboard. Die Klamotten waren so weit in Ordnung. Cool. Teuer. Die richtigen Marken. Alex zog die Schuluniform aus und probierte ein paar Kombinationen. Die Sachen passten. Klar, wieso auch nicht? Sie sahen in dem hohen Spiegel auf der Rückseite der Schranktür auch toll aus. Und Alex selber – ausnahmsweise – auch.
Er durchwühlte etliche Schubladen, fand aber nichts Interessantes. Einmal schöpfte er kurz Hoffnung, als ereine Bankkarte der Halifax-Bank entdeckte. Aber als er sich ausmalte, wie er Flips Konto plünderte, um nach Hause zu fahren, wurde ihm klar, dass er dazu die PIN brauchte.
Zumindest wurde ihm dadurch wieder bewusst, was dringender als alles andere war. Dringender als das Rätsel zu knacken, wie er ausgerechnet an Flip geraten war. Wenn es Alex nicht gelang, mit seiner Mutter, mit David oder sonst wem aus seinem »richtigen« Leben Kontakt aufzunehmen, dann musste er eben zu ihnen fahren. Nach Hause. Ihnen unmittelbar vorführen, was mit ihm passiert war. Beagle hatte es gleich begriffen. Wenn ein Hund die Kopie von Flip vom Original unterscheiden konnte, dann würden doch bestimmt auch Alex’ Eltern, sein Bruder und sein bester Freund spüren, dass Alex in Wirklichkeit hinter der Fassade dieses Betrügers steckte.
Alex musste seinen Eltern gegenübertreten – von Angesicht zu Angesicht.
Diesmal ist er unter Wasser, seine Füße versinken beim Rennen immer tiefer im Meeresgrund. Wenn er die Arme hebt, erreicht er die Oberfläche, aber er kriegt den Kopf nicht aus dem Wasser. Der Drang zu
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